Familienunternehmen stellen vor allem im mittelständischen Bereich eine wichtige wirtschaftliche Größe dar. Um dies zu gewährleisten, ist es von Bedeutung, die teilweise gegenläufigen Dynamiken von Familien und ihren Unternehmen zu berücksichtigen. Heiner Krabbe arbeitet Besonderheiten der Lebensbereiche Familie und Beruf heraus und zeigt Ansatzpunkte auf, um häufig auftretende Konflikte zu vermeiden.

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Zerlegt man das Wort „Familienunternehmen“ in seine Bestandeile, die Begriffe „Familie“ und „Unternehmen“, deutet sich bereits an, dass es sich hier um zwei eigenständige Felder handelt. Während Familien nur wenig Aufmerksamkeit in der Betriebswirtschaft finden, sind Unternehmen wiederum für die Familienforschung irrelevant (Simon et al. 2005). Das Zusammenwirken der Ideen von Familie und Unternehmen ist allerdings nur dann zu verstehen, wenn beide in ihrer Unterschiedlichkeit parallel betrachtet werden (Luhmann 1984).
Familie, Unternehmen und Eigentümer
Familienunternehmen können in drei Bereiche eingeteilt werden, die sich häufig überschneiden:
- die Familie, bestehend aus den Familienmitgliedern,
- das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern und
- die oder der Eigentümer als Alleineigentümer oder Gesellschafter.
Oft sind die aus dieser Einteilung resultierenden Gemeinschaften nicht deckungsgleich. Unternehmensangehörige sowie Eigentümer setzen sich in den wenigsten Fällen ausschließlich aus Familienmitgliedern zusammen. Agieren diese aber im Sinne der Familie, stehen individuelle Personen eher im Vordergrund als geschäftliche Aspekte. Für das Unternehmen an sich sowie die Inhaber ist dagegen eine vorwiegend sachbezogene Sichtweise sinnvoll, das Erbringen wirtschaftlicher Leistungen von größter Bedeutung.
Bei Familienunternehmen geraten die beteiligten Personen in einen Zwiespalt: Aus Sicht der Familie sind Entscheidungen personenorientiert zu treffen, aus der Sicht des Unternehmens sachorientiert. Welche Logik sich letztlich durchsetzt, ist nicht klar. Während Familien die Leitung des Unternehmens üblicherweise in die Hände des ältesten Kindes legen, kann es unternehmerisch sinnvoll sein, die Nachfolge an den jüngsten Sprössling abzutreten.
Allein aufgrund der jeweiligen Interessen der drei Bereiche kann es zu Konflikten kommen, selbst wenn die Beteiligten noch so bemüht sind.
Die Familie innerhalb des Familienunternehmens
Innerhalb von Familien entwickeln sich typische Konstellationen der Beziehungsdynamik, die für die einzelnen Familienmitglieder mit bestimmten sozialen und psychischen Anforderungen verbunden sind (Simon et al. 2005: 35–38).
Vermischung zweier Spielfelder
Im westlichen Gesellschafts- und Wertesystem geht man in der Regel von einem zeitlichen Nacheinander von Familie und Beruf aus. Beide Bereiche werden getrennt voneinander gelebt. So kann in der Familie alles zum Gegenstand eines Gesprächs werden, was das jeweilige Familienmitglied angeht. Die einzelnen Personen verfügen in ihrer Funktion für die Familie als Ganzes über eine unverwechselbare Position (Personenorientierung).
Im beruflichen Bereich hat jeder Beteiligte den dortigen Rollenanforderungen und Funktionen gerecht zu werden, die Person an sich ist austauschbar (Sachorientierung). Bei Familienunternehmen aber kann ein Zusammensein bei Kuchen und Kaffee zu einem intensiven Austausch der Familienmitglieder führen, bei dem auch privateste Dinge angesprochen und gleichzeitig berufliche Entscheidungen getroffen werden. Obwohl in beiden Feldern unterschiedliche Rollen und Erwartungen bestehen, sind die Akteure im Familienunternehmen identisch. Man kann es den Betreffenden nicht äußerlich ansehen, ob sie gerade als Mitarbeiter des Unternehmens oder als Familienmitglied handeln. Die Kontexte sind zeitlich und oft auch räumlich vermischt (Simon 2011a: 36 ff.).
Für den Einzelnen bedeutet dies, dass er in seiner Doppelidentität als Familienmitglied und Mitarbeiter gefordert ist. Er muss sich gewissermaßen aufspalten und auf beide Identitäten parallel Zugriff haben. Die tatsächliche Kommunikation unter Mitgliedern eines Familienunternehmens ist daher anfälliger für Konflikte als in anderen Familien, da keine allgemein akzeptierten Zeichen, Schemata und Muster verfügbar sind, die eindeutig zeigen, in welchem Kontext das Gespräch gerade geführt wird. Was anderen Familien gelingt, nämlich Arbeit und Privatleben räumlich, zeitlich und organisatorisch zu trennen, ist für Familienunternehmen letztlich nicht möglich.
Lebenszyklus Familie – Unternehmen
In der ersten Generation eines Unternehmens geht auf (mindestens) einen Elternteil dessen Gründung zurück, die in Konkurrenz zum Aufwachsen der Kinder steht. Diese Menschen müssen ihrer Rolle als Eltern gerecht werden und zugleich ein Unternehmen führen. Die Grenze zwischen beiden Bereichen ist oft sehr durchlässig. Die Firma „sitzt immer mit am Tisch“. So werden Kinder zwar frühzeitig mit der Arbeitswelt vertraut gemacht, erleben aber die Firma als Konkurrenz um die elterliche Liebe. Die Eltern ihrerseits sind durch den Aufbau des Unternehmens stark gebunden und haben oft das Gefühl, ihren Kindern nicht gerecht zu werden. So kommt es zu Konflikten zwischen Eltern und Kindern in der Gründergeneration (ebenda: 45 ff.). Zudem erwarten Gründer von ihren Kindern, dass diese die Firma über ihren Tod hinaus weiterführen. Hier werden Wünsche frühzeitig delegiert, sodass es den Kindern schwerfällt, sich davon zu lösen.
In der zweiten Generation ist die Familie dadurch gekennzeichnet, dass zumindest ein Elternteil bereits Erfahrungen mit der Rolle als Nachfolger gemacht hat. Es hat sich ein gewisses Verständnis für die in beiden Rollen typischen Konflikte entwickelt. Das Überleben der Firma ist für diese Eltern nicht im gleichen Umfang mit ihrer persönlichen Identität verbunden. Es besteht eine gewisse emotionale Distanz gegenüber dem Familienunternehmen, was für die Kinder zu größeren Entscheidungsspielräumen und zur Loslösung vom Werk der Großeltern führt. Sie fühlen sich nicht persönlich an das Familienunternehmen, sondern eher an die Familientradition gebunden. Dies mag auch erklären, warum nur ein kleiner Teil der Familienunternehmen den Übergang von der zweiten zur dritten Generation schafft. Meist fällt die Entscheidung der Kinder gegen ein Engagement in der Firma aus.
Ab der dritten Generation ist die Zahl der Familienmitglieder oft stark gestiegen. Um ein Gefühl der gemeinsamen Identität aufrechterhalten zu können, müssen Möglichkeiten familiärer Begegnungen organisiert werden, zum Beispiel Feste. Allerdings können diese auch den gegenteiligen Effekt haben, wenn sich eine Kluft zwischen den Generationen auftut. Großfamilien übernehmen dann Muster von Organisationen, um als Familie eine Einheit zu bewahren. Die Familienmitglieder müssen formalisierte Regeln entwickeln, um miteinander im Gespräch zu bleiben. Häufig wird der personenzentrierten Kommunikation eine sachgerechte Organisationsstruktur hinzugefügt, um weiterhin eine Form von Familiarität erleben zu können. Familienunternehmen stehen dementsprechend vor zahlreichen Herausforderungen.
Die Frage der Gerechtigkeit
Die Entscheidungskriterien für Gerechtigkeit sind in den Systemen Familie und Unternehmen unterschiedlich, besonders bei der Nachfolgeregelung. Einerseits versuchen Eltern ihre Kinder gerecht zu behandeln, andererseits sind sie bemüht, unternehmerisch sinnvoll zu agieren (Simon 2011b: 57 ff.). Im Laufe des Familienlebens ist es schwer, das gegenseitige Geben und Nehmen zwischen Eltern und Kindern sichtbar zu machen. Die Liebe könnte man als „Währung“ von Familienbeziehungen bezeichnen, die nur langfristig und über Generationen hinweg bilanziert werden kann. Gerechtigkeit unter Familienmitgliedern wird im Sinne einer Gleichheit bezogen auf Ansprüche, Rechte, Pflichten und Erwartungen verstanden. Sowohl auf der Ebene der Eltern als auch derjenigen der Kinder wird Gleichheit unterstellt und gefordert. Die stillschweigende, normativ wirkende Erwartung an die Eltern, alle Kinder gleich zu lieben, hegen andersherum auch Eltern gegenüber ihren Kindern.
Dieser Vorstellung von Gerechtigkeit entsprechend entwickeln Kindern ihren Eltern gegenüber einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Die Gleichheit wird von ihnen eingefordert und zum Maßstab der Gerechtigkeit elterlicher Entscheidungen gemacht. Die Forderung nach Gerechtigkeit wird dort am ehesten gestellt, wo sie am leichtesten zu beobachten und zu überprüfen ist: bei Entscheidungen über objektivierbare und quantifizierbare Größen (z. B. Anteile am Familienunternehmen, Auszahlungen, Erbanteile). Da die „Liebeswährung“ nicht in zählbaren Einheiten abgerechnet werden kann, geraten Eigentumsfragen zwangsläufig in den Mittelpunkt von Konflikten.
Wird die Entscheidung für einen Nachfolger anhand unternehmerischer Kriterien getroffen, hat dies Konsequenzen für die familiäre Gerechtigkeit. Wenn ein Kind aufgrund seiner fachlichen Kompetenz mit der Nachfolge im Unternehmen bedacht wird, stellt sich für die Eltern zwangsläufig die Frage nach der Gerechtigkeit gegenüber den anderen Kindern. Die Entscheidung auf Unternehmensseite führt gleichzeitig zur Ungleichbehandlung der Familienmitglieder. Im Sinne der Familiengerechtigkeit macht dies die Forderung nach Ausgleich bei den anderen Familienmitgliedern notwendig. Die Wahrscheinlichkeit, für die Nachfolge eine Lösung zu finden, die gleichzeitig unternehmerisch richtig und unter familiären Gesichtspunkten gerecht ist, ist gering (ebenda: 61).
Auf formaler Ebene wird eine finanzielle Kompensation als Gerechtigkeitsausgleich angeboten, soweit es die Vermögenslage des Familienunternehmens zulässt. Gerade die Frage nach der Gerechtigkeit von Entscheidungen sowie die Befürchtung, dass ein Konflikt nach außen gelangen könnte, führen dazu, dass seit einiger Zeit nach Wegen zur Konfliktbeilegung außerhalb der Gerichte gesucht wird. Mediation hat sich hier für Familienunternehmen als eine erfolgversprechende Möglichkeit bewährt.
Literatur
- Gubler, Andreas (2012): Nachfolgeregelung im Familienunternehmen. Grundriss für die Praxis. Zürich: Verlag Neue Zürcher Zeitung.
- Luhmann, Niklas (1984): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp Taschenbuch.
- Simon, Fritz B. (2011a): Die Familie des Familienunternehmens. In: Simon, Fritz B. (Hrsg.): Die Familie des Familienunternehmens. Ein System zwischen Gefühl und Geschäft. Heidelberg: Carl Auer, S. 35–54.
- Simon, Fritz B. (2011b): Gerechtigkeit, Richtigkeit und Rechtmäßigkeit. In: Simon, Fritz B. (Hrsg.): Die Familie des Familienunternehmens. Ein System zwischen Gefühl und Geschäft. Heidelberg: Carl Auer, S. 55–72.
- Simon, Fritz B. et al. (2005): Mehr-Generationen-Familienunternehmen. Erfolgsgeheimnisse von Oetker, Merck, Haniel u. a. Heidelberg: Carl Auer.
Über den Autor
Dipl.-Psych. Heiner Krabbe ist Mediator (BAFM), Psychologe, Psychotherapeut und Supervisor. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Wirtschaftsmediation, Mediation im Arbeits- und Organisationsbereich, gerichtsnahe Mediation und Familienmediation bei Firmennachfolge. Heiner Krabbe hat zahlreiche Fachtexte zum Thema Mediation veröffentlicht. Darüber hinaus ist er Inhaber einer Praxis für Psychotherapie und Leiter der Mediationswerkstatt Münster.