Mediation bei hochstrittigen Familienkonflikten

Familien setzen sich aus einer Vielzahl von individuellen Persönlichkeiten zusammen – Konflikte lassen sich dabei kaum vermeiden. Den meisten Familien gelingt es, diese konstruktiv zu lösen. Eine Ausnahme bilden allerdings hochstrittige Familienkonflikte. Diese stellen alle Beteiligten vor besondere Herausforderungen und verlangen auch seitens des Mediators eine differenzierte und an die jeweiligen Gegebenheiten angepasste Vorgehensweise.

© Rido / fotolia.com

© Rido / fotolia.com

Die gesetzlichen Bestimmungen des Familienrechts gehen – beispielsweise bei einer Trennung oder Scheidung – von streitenden Familien aus. Professionelle Helfer sollen Eltern in diesem Fall mithilfe von Beratung und Mediation darin unterstützen, einvernehmliche Lösungen in einem beschleunigten Verfahren zu erarbeiten. Mit dem Fokus auf die Sachebene soll der Mediator den streitenden Eltern dabei helfen, in bestimmten Prozessschritten eine Klärung des Konflikts zu erarbeiten.

Diese an sich gute und vernünftige Idee greift bei einer Vielzahl streitender Eltern; sie greift jedoch nicht bei Eltern, die sich scheinbar unversöhnlich gegenüberstehen.

Merkmale hochstrittiger Familienkonflikte

Hochstrittige Familienkonflikte zeichnet eine veränderte Dynamik aus. Bei diesen Familien stehen die emotionalen Probleme deutlich im Vordergrund; elementare Formen der Kommunikation zwischen den Parteien gelingen nur begrenzt oder gar nicht. Dritte Personen, seien es private oder professionelle, werden massiv mit in die Streitigkeiten einbezogen, Vereinbarungen oder Urteile immer wieder aufgehoben und nicht beachtet. Die Neutralität des Mediators wird zunächst nicht akzeptiert (Dettenborn 2013).

Angesichts dieser Merkmale stellt sich die Frage, ob Mediation in diesen Fällen überhaupt möglich und sinnvoll ist. Diese Frage lässt sich folgendermaßen beantworten: nein, aber vielleicht doch/ja, aber vielleicht doch nicht.

Der Mediator muss in Fällen hochstrittiger Familien einerseits über psychologisches Hintergrundwissen verfügen, neue Eckpunkte als Orientierung in der Mediation setzen und gleichzeitig bereit sein, über seine professionellen und persönlichen Grenzen nachzudenken. Gegebenenfalls darf er die Mediation dann nicht annehmen oder muss sie beenden (Krabbe 2014).

Notwendige Umstellungen in der Mediationsarbeit

Bei hochstrittigen Konflikten ist es notwendig, dass der Mediator seinem „normalen“ Handwerkszeug folgende Instrumente hinzufügt:

1. Psychologisches Hintergrundwissen

Die Dynamik von hochstrittigen Parteien erfordert psychologisches Hintergrundwissen. Hochstrittige Familienmitglieder sind in eine Konfliktdynamik verstrickt, die es ihnen schwer macht, diese zu stoppen und zu beenden. Sie sind bisweilen in psychodynamischen Mechanismen stecken geblieben, die dafür sorgen, dass die Konflikte nicht gelöst werden, sondern erhalten bleiben. Bewusst wünschen sich alle Beteiligten, dass die Konflikte beendet werden, unbewusst sorgen Sie jedoch dafür, dass genau das Gegenteil geschieht.

Man könnte bei diesem Phänomen analog zum Krankheitsgewinn in der Psychotherapie von einem „Konfliktgewinn“ der Parteien sprechen. Diese Konflikterhaltungsmechanismen wirken dabei auf verschiedenen Ebenen: auf der intra-psychischen Ebene (innere Konflikte jeder Partei), auf der inter-psychischen Ebene (Konflikte zwischen den beiden Parteien) und auf der sozialen Ebene (Konflikte durch das soziale Umfeld). Erst wenn der Gewinn einer Lösung des Konflikts größer wird als der Gewinn einer Konflikterhaltung, kann eine Mediation mit diesen Parteien erfolgreich sein (Johnston 1991).

2. Aufbau einer Beziehung zu jeder Partei vor der Bearbeitung von Konfliktinhalten

So wie im Alltag oft die ersten Sekunden in der Begegnung entscheidend sind, so erweist sich der Beginn einer Mediation mit hochstrittigen Parteien als wesentlich für die Weichenstellung. Der Mediator sollte sich vom ersten Moment der Kontaktaufnahme mit jeder Seite dessen bewusst sein, dass die Art und Weise, wie er diese gestaltet, bereits die weitere Zusammenarbeit und Beziehung entscheidend beeinflussen kann. Eine respektvolle Beziehung auf Augenhöhe gilt auch in der Mediation als ein grundlegender, übergeordneter Wertfaktor, der mehr als einzelne isolierte Techniken und Methoden über den Erfolg einer solchen Mediation entscheidet.

3. Struktur herstellen

Oft sind instabile Personen, die ihre eigenen Emotionen nur unzureichend regulieren können, Teil von hochstrittigen Familien. Über das Kontakt- und Beziehungsangebot hinaus sollte der Mediator strukturiert vorgehen, indem er klare Vorgaben zu den Rollen der Beteiligten macht, den Ablauf des Verfahrens genauestens erläutert und praktiziert, jede neue Stufe sorgfältig erklärt sowie Gesprächs- und Verhaltensregeln mediiiert.

4. Neutralität herstellen

Die Neutralität des Mediators im Sinne einer Allparteilichkeit spielt bei Hocheskalation eine große, stabilisierende Rolle. Das ausgesprochene Schwarz-Weiß-Denken der Konfliktparteien zu Beginn der Mediation lässt den Gedanken einer Neutralität des Mediators noch nicht zu. Stattdessen versucht jede Seite, den Mediator für sich und gleichzeitig gegen die andere Seite einzunehmen. Nur langsam wird dem Mediator im Gespräch eine Neutralität zugestanden, wenn er für keine Seite Partei ergreift und stattdessen den Gesprächsprozess verfahrensgerecht gestaltet. Bisweilen zählen die Parteien zu Beginn der Mediation den Umfang der Sätze an jede Partei sowie die Länge ihrer Beiträge, um sicherzustellen, dass die andere Seite nicht bevorzugt wird.

5. Schweigepflicht

Die Schweigepflicht des Mediators ist bei hochstrittigen Parteien sein höchstes Gut. Die Parteien sind es gewohnt, Personen aus Ihrem Umfeld mit in das Konfliktgeschehen einzubeziehen, sie in alle Details einzuweihen. Dies trifft auch auf die professionellen Helfer zu. Umso wichtiger ist es, dass der Mediator auf seine absolute Verschwiegenheit achtet. Diese Verpflichtung betont der Mediator zu Beginn der Mediation gegenüber jeder Seite als erste vertrauensbildende Maßnahme.

6. Umgang mit der Freiwilligkeit

Hochstrittige Parteien kommen oft – zumindest subjektiv – unfreiwillig, widerwillig, angeordnet in die Mediation. Äußerlich mag formal eine Freiwilligkeit vorliegen, aber innerlich ist die Teilnahme für diese Parteien nicht freiwillig. Das Thematisieren der Unfreiwilligkeit durch den Mediator ist hilfreich, um den Umgang mit dieser Problematik besprechen und verhandeln zu können. Die Zusicherung des Mediators ist darauf gerichtet, dass er den Parteien helfen kann, übergeordnete Institutionen wie Jugendamt, Familiengericht oder Verfahrenspfleger aus dem Konflikt herauszuhalten, wenn eine einvernehmliche Regelung in der Mediation erarbeitet worden ist.

7. Erste kurzfristige und begrenzte Vereinbarungen zu Alltagsthemen

Der Mediator sollte in die umfangreiche Mediation zahlreiche kleine „Mini-Mediationen“ einbauen. Diese beziehen sich auf aktuelle Konfliktpunkte: die Zeiten der Kinder für das nächste Wochenende beim Vater, der ausstehende Geburtstag eines Kindes in diesem Jahr, die kommende Weihnachtsfeier, die diesjährigen Sommerferien, der Wechsel des Kindes zwischen beiden Eltern für die Zeit eines Monats.

Diese begrenzten Vereinbarungen stellen eine erste Stabilisierung für die Parteien in ihrem Alltag dar und lassen das Vertrauen der Parteien in die Mediation wachsen. Bisweilen besteht die Mediation mit hochstrittigen Parteien nur aus einer Vielzahl begrenzter kurzfristiger Vereinbarungen. Eine umfassende Regelung hingegen ist mit diesen Parteien nur begrenzt möglich.

Schlussbetrachtung

Nicht jede Form von Rosenkrieg kann durch Familienmediation gelöst werden. Ein Abbruch ist nicht ausgeschlossen. Er kann zu jeder Zeit in der Mediation geschehen. Parteien drohen oft mit dem Abbruch, wenn sich die Konfliktdynamik aufzulösen beginnt und sie mit ersten Verantwortlichkeiten konfrontiert sind. Das Vertraute geht ihnen dann verloren, neue Anforderungen kommen auf sie zu. Der Mediator sollte Geduld haben und die Parteien ermuntern, im Prozess zu bleiben.

Wird die Mediation von einer Partei endgültig abgebrochen, stellt sich für den Mediator die Frage, welchen Anteil er daran haben könnte. In solchen Fällen hat sich Supervision als hilfreich erwiesen.

Aber auch in diesem Zusammenhang kann sich herausstellen, dass eine Lösung des Konflikts für diese Parteien nicht möglich ist. Der Erhalt des Konflikts ist für diese Parteien die einzig verbleibende Konfliktlösung. Dann sollte der Mediator eine demütige Haltung einnehmen: Er ist an seine professionelle Grenze gelangt.


Literatur

  • Dettenborn, Harry (2013): Hochkonflikthaftigkeit bei Trennung und Scheidung. Teil 1: Definition, Eskalationsstufen und Eskalationskriterien. Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe (ZKJ) 6, S. 231–234.
  • Krabbe, Heiner (2014): Werkstattbericht – Hochstrittige Parteien in der Mediation. Zeitschrift für Konfliktmanagement (ZKJ) 2, S. 58–61.
  • Johnston, Janet R. (1991): Sackgasse Scheidung. Wie geht es weiter? Plenarvortrag anlässlich des Treffens des Internationalen Familienverbandes in Pittsburg, 12.–15. Mai 1991.

Über den Autor

heiner-krabbeDipl.-Psych. Heiner Krabbe ist Mediator (BAFM), Psychologe, Psychotherapeut und Supervisor. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten zählen Wirtschaftsmediation, Mediation im Arbeits- und Organisationsbereich, gerichtsnahe Mediation und Familienmediation bei Firmennachfolge. Heiner Krabbe hat zahlreiche Fachtexte zum Thema Mediation veröffentlicht. Darüber hinaus ist er Inhaber einer Praxis für Psychotherapie und Leiter der Mediationswerkstatt Münster.

Die mit einem * markierten Felder sind Pflichtfelder.

Ich habe die Datenschutzbestimmungen zur Kenntnis genommen.