Carl-Auer, 2. Aufl., 2013. 196 S. 19,95 Euro. ISBN 978-3-89670-606-5
Erschinen in die Ausgabe 4-2014 Schwerpunkt: Konfliktkompetenzen
Ramona Groneberg
Wer fühlt sich von diesem Buchtitel nicht gleich angesprochen? Seine eigene Familie sucht man sich nicht aus und selbst wenn dies mögliche wäre: Es gibt wohl kein Familienleben ohne den alltäglichen Wahnsinn, kleine und große Katastrophen. Da kommen unkomplizierte Hilfen in einem gut lesbaren Buch mit Fallbeispielen und 40 Übungen gerade recht. Zumal es für viele Menschen nicht einfach ist, den Weg zu einem Fachmann oder einer Fachfrau zu nehmen. Vorweg genommen sei allerdings gleich eine „Warnung“ des Autors: Das Buch gibt auf humorvolle Weise einen guten Überblick über die Familie und ihre Herausforderungen. Es ersetzt allerdings nicht professionelle Hilfen, deren Inanspruchnahme man sich nicht scheuen sollte.
Der Autor, Eia Asen, Prof. Dr. med., FRC Psych., studierte in Berlin Medizin und lebt seit 40 Jahren in London, wo er als Kinder-, Erwachsenen- und Familienpsychiater tätig ist. Bis 2013 war er Direktor des Marlborough Family Service, eines systemisch orientierten gemeindenahen ambulanten Psychiatrie- und Psychotherapiezentrums. Aktuell arbeitet er am Anna Freud Centre in London und hat eine Gastprofessur am University College London.
Der Inhalt des Buches ist gut strukturiert und überzeugt durch Vielfalt und Breite: Ausgehend von der Frage, was Familie ist, befasst sich der Autor mit dem kompletten Lebenszyklus von Familien. Er beleuchtet dabei unter anderem Gewohnheiten und Überlebenstechniken, Verliebtheit und Partnerschaft, das erste Kind, den Umgang mit kleinen Kindern und Teenagern, Krisen in der Lebensmitte und Scheidungen sowie die familiäre Bewältigung von Krankheit und Tod. Dieser kurze Überblick lässt bereits vermuten, dass das familiäre Dasein detailliert dargestellt wird; tiefer gehende Informationen zum Beispiel zu wissenschaftlichen Studien, zur Verhaltensforschung etc. erlangt der Leser jedoch nicht. Das Anliegen des Autors ist es vielmehr, einen Einblick in die therapeutische Arbeit mit Familien zu geben und dem Leser die Möglichkeit zu bieten, den Blick auf die eigene Familie zu ändern. Er wird in die Lage versetzt, problematische Aspekte des Familienlebens zu erkennen und sich damit auseinanderzusetzen sowie bessere Beziehungen innerhalb und außerhalb der Familie aufzubauen. Das Buch wendet sich an Familien ohne schwerwiegende Probleme, da es recht pointiert gehalten ist. Daher bietet es sich auch weniger als Fachbuch für Therapeuten an; bestenfalls als Hinführung zur oder Einführung in die therapeutische Arbeit. Erfahrenen Experten wird der Autor nichts Neues präsentieren.
Der Einstieg in das Buch ist gut gelungen, da eine Definition von Familie gegeben wird, die vom klassischen Schema Mutter – Vater – Kind abweicht und auf die verschiedensten Konstellationen zutrifft. Als Familie wird hier eine Gruppe von Menschen gesehen, „die sich verpflichtet fühlen, einander emotionale und körperliche Zuwendung angedeihen zu lassen“. Es schließt sich ein Kapitel zur Struktur der Familie an, die von Außenstehenden und Familienmitgliedern häufig verschieden dargestellt wird. Mithilfe von Diagrammen wird sichtbar gemacht, wie die einzelnen Personen zueinander stehen, ob ihre Beziehung liebevoll, übertrieben nahe, ambivalent, distanziert oder von Konflikten belastet ist.
Lesenswert sind auch die Folgekapitel, die sich mit Überzeugungen, Mythen und Familiengeheimnissen beschäftigen. Der Autor verweist auf Regeln, die jeder kennt, und unausgesprochene Gesetze, die nur implizit existieren. Er führt dem Leser vor Augen, dass im familiären Alltag häufig Geschichten erfunden werden, um Konfrontationen mit der Wirklichkeit zu vermeiden oder um beschämende Ereignisse und Geheimnisse zu verbergen. Informationen werden zurückgehalten, um Beziehungen nicht negativ zu beeinflussen. Oftmals existieren auch offene Geheimnisse, die jeder kennt, über die aber nicht gesprochen wird. Eine Übung erläutert, wie Geheimnisse offenbart werden können, und dokumentiert die einzelnen Phasen von der Einschätzung damit verbundener Risiken und positiver Auswirkungen eines Eingeständnisses bis hin zur Frage, wann und wo das Geheimnis gelüftet werden soll. Unkalkulierbar scheint, wie die einzelnen Familienmitglieder auf die Aufklärung reagieren. Die Übung wird wenig Sicherheit bzw. Klarheit bringen, da die Beteiligten nicht berechenbar sind, sodass das Risiko recht unüberschaubar bleibt. Die Auflösung der Familie oder das Wegbrechen einzelner Teile sind denkbar, wenn durch die neu gewonnenen Erkenntnisse Menschen stark verletzt werden und ein Miteinander unmöglich wird.
In einer weiteren Übung geht es um Spontanität, die dem Leben neue Würze geben soll. Jemanden nach vielen Jahren des Zusammenseins zu überraschen und neuen Wind in die Beziehung zu bringen ist nicht leicht, aber es kann gelingen, indem man sich eingetretener Pfade bewusst wird und spontan ungewöhnliche Dinge unternimmt. Die Übung endet mit dem Hinweis: „Bringen Sie Ihren Partner zum Lachen. Wenn er zu weinen anfängt, haben Sie etwas falsch gemacht“. Dies mag mit einem Augenzwinkern versehen sein, gleichwohl handelt es sich um eine ernste Angelegenheit, denn nicht alle Menschen fühlen sich mit spontanen Veränderungen wohl. An vielen Stellen des Buches wird deutlich, dass es sich bei den Empfehlungen des Autors nicht immer um einfach umsetzbare Anregungen handelt. Häufig ist es notwendig, das Gegenüber gut zu kennen, um Reaktionen und Auswirkungen einschätzen zu können.
Einfacher erscheint das Führen eines Streittagebuchs, in das eingetragen wird, wann und wo ein Streit stattfand, wer und was ihn ausgelöst hat, worum es ging, wer anwesend war, wie lang der Streit angehalten und wer ihn beendet hat. Das Tagebuch wird erst allein und anschließend mit dem Streitpartner ausgewertet, und es erfolgt die Feststellung, ob die Streitigkeiten nach einem bestimmten Muster ablaufen. Kommen sie zu bestimmten Zeiten oder an bestimmten Orten vor oder in Anwesenheit einer bestimmten Person? Auf dieser Basis können Strategien entwickelt werden, um den Streit zu beenden. Eine hilfreiche Übung, die etwas Aufwand erfordert, aber es lohnt sich!
An das Ende des Buches hat der Carl-Auer Verlag allgemeine Adressen zur Systemischen Beratung und Therapie gestellt – erfreulicherweise nicht nur für Deutschland, sondern auch für Österreich und die Schweiz. Damit erhalten Leser, die professionelle Hilfe in Anspruch nehmen wollen, erste Hinweise an die Hand, dank derer sie sich im Dschungel der Beratungsangebote zurechtfinden können.
Fazit: Mit So gelingt Familie hat Eia Asen einen einfühlsamen Ratgeber vorgelegt, der anhand ausgesuchter Fallbeispiele die vielfältigen Problemsituationen innerhalb von Familien sachkundig identifiziert und Strategien zu deren Lösung anbietet. Die dargestellten Übungen erscheinen fast notwendig, um die Theorie in die Praxis umzusetzen. Es werden wertvolle Tipps gegeben, die allerdings nur dann ihre Wirkung entfalten können, wenn sich der Leser während der Lektüre bereits konkrete Situationen vornimmt, in denen er die möglichen Ansätze für Veränderungen oder Lösungen anwendet. Ohne Training wird man nach dem Lesen des Buches jedoch in die alten Muster zurückfallen. Familie gelingt dann, wenn man Asens Buch nicht nur liest, sondern auch lebt.