Konfliktgespräche und Kampfkunst: Den Fokus behalten

In Konfliktgesprächen ist es ebenso wie in vielen anderen Situationen des beruflichen oder privaten Alltags wichtig, sich nicht zu verzetteln und den Fokus zu bewahren, will man die eigenen Ziele nicht aus den Augen verlieren. Doch im Eifer des Gefechts ist das nicht immer einfach. Wie das gelingen kann, zeigen viele Kampfkünste, etwa das chinesische Kung Fu.

André Niedostadek und Holger Wiese

 

Wer schon einmal durch eine Kamera geblickt hat, kennt das: Man möchte das Motiv möglichst gut einfangen. Verwackelte Bilder sind ebenso wenig erwünscht, wie unscharfe Aufnahmen. Moderne Kameras helfen dabei: Wie gut, dass es beispielsweise den Autofokus gibt für die korrekte Schärfeneinstellung. Dank ausgefeilter Technik und enormer Rechenleistung lassen sich sogar Geschwindigkeit und Richtungswechsel eines Motivs berücksichtigen und das alles in Sekundenbruchteilen.

Den Fokus zu behalten, spielt auch anderswo eine Rolle, etwa im Beruf und im privaten Umfeld. Sich fokussieren zu können, dürfte überhaupt eine zentrale Schlüsselqualifikation sein. Wer sich hingegen verzettelt, dem wachsen die Dinge leicht über den Kopf. Und das passiert schnell: Einerseits sind wir in allen Lebensbereichen immer stärker gefordert, andererseits wollen die vielfältigen Ansprüche  auch noch unter einen Hut gebracht werden, was überaus aufreibend sein kann und das Stresslevel steigen lässt. Entwicklungen wie etwa das viel diskutierte „Burnout“, dürften hier eine Ursache haben.

Doch nicht nur im Großen ist es entscheidend, den Blick zu schärfen und fokussiert zu bleiben. Auch im Kleineren, etwa bei Konfliktgesprächen ist es ratsam, die Themen, die Gesprächspartner und – auch das ist wichtig – sich selbst nicht aus dem Blick zu verlieren. Wie schön wäre es doch, wenn es dafür ebenfalls eine Patentlösung gäbe, ganz so wie der Autofokus in der Fotografie: Immer perfekt ausgerichtet und an die jeweilige Situation angepasst, ohne dass man sich um weitere Details zu kümmern braucht.

Doch solche Patentlösungen gibt es nicht. Aufgeschmissen ist man dennoch nicht. Ebenso wie in anderen Bereichen (siehe hierzu bereits den Beitrag Konfliktgespräche und Kampfkunst: Die eigene Balance behalten, in: Die Mediation, Ausgabe 3 2017, S. 22 f.) lassen sich Impulse in der Kampfkunst finden, etwa im chinesischen Kung Fu. Diese aus der Tradition von Shaolin-Mönchen entwickelte Kampfform vereinigt zahlreiche Stile, die trotz mancher Unterschiede häufig eine Gemeinsamkeit haben: Es handelt sich nämlich weniger um eine Sportart, als vielmehr um die Möglichkeit, persönliche Fertigkeiten und Kompetenzen zu entwickeln, die für einen Kampf grundlegend sind. Schlagkraft, Chancenverwertung, Strategie und Balance sind dabei zentrale Bausteine. Sie sind zugleich wieder unmittelbar damit verbunden, den Fokus zu behalten. Dies sei im Folgenden an fünf Beispielen näher beschrieben, wobei der Begriff „Fokus“ hier selbst für die einzelnen Aspekte steht:

  • F wie flexibel bleiben
    Fokus Konfliktgespräch

    Fokus Konfliktgespräch

  • O wie Orientierung behalten
  • K wie Kräfte einteilen
  • U wie Unruhe meistern
  • S wie Stärke entwickeln

 

Flexibel bleiben

Fokussiert zu sein und zu bleiben bedeutet zwar, ein Ziel im Auge zu behalten, aber nicht, um jeden Preis an einer Aktion festzuhalten. Wer in einer unliebsamen Situation, etwa einem Konfliktgespräch, womöglich noch wie das sprichwörtliche Kaninchen vor der Schlange, vor Angst gelähmt ist oder vor Schreck erstarrt, wird schwerlich bei sich bleiben und den eigenen Fokus aufrecht erhalten können.

In der Kampfkunst bedeutet diese Flexibilität unter anderem auch, einen Angriff nicht auf Biegen und Brechen durchzuziehen, sondern so fokussiert zu sein, dass man eine Handlung sogar noch in der Bewegung wieder abbrechen kann. Das erfordert ein unglaubliches Maß an Körperbeherrschung, hat aber einen entscheidenden Vorteil: Man reagiert nicht blindlings, sondern, um hier ganz bewusst eine bekannte Redewendung zu nutzen, man hat das Heft des Handels selbst in der Hand, wobei der Ausdruck „Heft“ ja für den Griff eines Schwertes steht. Man behält also die Initiative und die Kontrolle. Im übertragenen Sinne wird man nicht zum Opfer, sondern bleibt ein Akteur.

Was bedeutet das konkret für Konfliktgespräche? Es ist beispielsweise wenig sinnvoll, auf jeden Vorwurf zu reagieren. Ja, man kann sogar verbale Angriffe ins Leere laufen lassen. Sollte sich für einen guten Konter eine Chance ergeben, wird man sie sicher nutzen können und manchmal auch müssen, um so etwas wie „Waffengleichheit“ zu wahren. Wer allerdings merkt, dass es nicht weitergeht, tut gut daran, sich nicht blindlings in eine Reaktionsspirale zu stürzen. Zu groß ist die Gefahr, dadurch auf Abwege zu geraten. Da ist es angebrachter, flexibel zu bleiben und so den Fokus aufrecht zu erhalten, um dann zu schauen, ob sich nicht an anderer Stelle eine bessere Chance ergibt – vielleicht nicht unbedingt für einen Konter, aber dafür, die weitergehenden Ziele zu erreichen.

Orientierung behalten

Wer den Fokus aufrechterhalten möchte, muss zugleich die Orientierung behalten. Das bedeutet, sich nicht im Kleinteiligen zu verlieren, sondern das große Ganze im Blick zu behalten. Gerade in Konfliktgesprächen ist die Gefahr, sich in Einzelheiten zu verstricken groß. Gefährlich wird es, wenn man dadurch selbst in eine Ecke gedrängt wird. Auch dann gerät das eigene Anliegen aus dem Fokus.

Ähnlich ist es in der Kampfkunst. Die Orientierung zum Raum ist hier ein Schlagwort. Wo steht der Gegner, wo stehe ich? Von welcher Seite aus droht Gefahr?

Interessanterweise stellen wir uns bei diesem Punkt, die Orientierung zu behalten, sogar oft selbst ein Bein. Wie das? Indem wir es zulassen, dass von allen Seiten Informationen unterschiedlichster Art auf uns einprasseln. Hier noch eine E-Mail beantworten, da blinkt das Smartphone wegen einer WhatsApp-Nachricht, dann steht noch jemand neben uns, der was will und obendrein läutet das Telefon. Und als wenn das alles noch nicht genug wäre, lechzen wir von früh bis spät noch nach neusten News. Man will ja aktuell sein. Das der Fokus da schnell aus dem Blick gerät, liegt auf der Hand. Informationsdiät wäre hier das Stichwort. Apropos, wo doch die so genannte Paleo Diät bzw. Steinzeitdiät als Ernährungsform einen regelrechten Hype erfahren hat: Unsere Vorfahren aus der Steinzeit hatten verglichen mit heute nicht einmal einen Bruchteil der Informationen zu verarbeiten, wie wir sie heute zulassen. Vielleicht wäre es angebrachter, sich selbst mal auf eine „Paleo Informationsdiät“ zu setzen.

Kräfte einteilen

Unsere eigenen Kräfte sind begrenzt, physisch und mental. Daher ist es entscheidend, sich seine Kräfte gut einzuteilen. In der Kampfkunst ist das Thema Kraft fast schon eine Wissenschaft für sich. Wie lässt sich Kraft entwickeln und – wieder mit Blick auf den Fokus – auf welches Ziel hin mobilisiert man die eigenen Kräfte? Man kann es auch anders formulieren: Was ist wichtig, was ist unwichtig? Wo liegen die Prioritäten? Auch das lässt sich wieder auf Konfliktgespräche (aber auch darüber hinaus) anwenden. Welche Aspekte greife ich mir heraus? Das ist in erster Linie eine Frage der Entscheidung. Wer sich fokussieren möchte, muss Entscheidungen treffen.

Unruhe meistern

Jeder Kampf und jedes Konfliktgespräch birgt eine gewisse Unruhe. Es wird hektisch, der Adrenalinspiegel steigt und die Atmung wird schneller. Im Kung Fu folgen viele Bewegungen gleichzeitig oder sehr schnell hintereinander. So schnell, wie Könner schlagen, kann man gar nicht atmen. Um Hektik zu vermeiden, lohnt es sich, die Atmung von der physischen Leistung zu entkoppeln. Auch das dient dem Fokus. Gleiches gilt in Konfliktgesprächen. Auch hier kommt der Atmung eine immense Bedeutung zu. Lässt sich das trainieren? Auf jeden Fall. Eine Übung, die sich leicht und überall umsetzen lässt: Langsam bis zwei zählen und tief durch die Nase in den Bauch einatmen, dann bis vier zählen und dabei aus dem Mund ausatmen.

Stärke entwickeln

Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen – weder im Kung Fu noch beim Fokussieren. Daher heißt es wie bei jeder Schlüsselqualifikation: Training, Training, Training. Auch das Fokussieren lässt sich bewusst trainieren. Es lohnt sich.

Auf einen Blick …

Fünf Tipps, um den Fokus zu behalten

  • Flexibilität behalten, z. B. durch Abbruch einer Aktion
  • Orientierung behalten, z. B. durch Informationsdiät
  • Kräfte einteilen, z. B. durch Entscheidungsfreude
  • Unruhe meistern, z. B. durch Atemübungen
  • Stärke entwickeln, z. B. durch bewusstes Training

 

Prof. Dr. André Niedostadek, LL.M.

Professor für Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz und Wirtschaftsmediator. Er praktiziert selbst das Ving Tsun Kung Fu.

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