Im Planungs- und Bauwesen findet die Mediation immer mehr Zuspruch. Das Private Baurecht wird als Rechtsgebiet sogar als besonders geeignet für eine außergerichtliche Konfliktlösung angesehen (so schon Frickell 2000: 158–160). Die Vorteile der Baumediation sind allgemein bekannt: Sie hat im Regelfall eine geringe Verfahrensdauer und sie kann ad hoc und ohne um- ständliche formelle Verfahrenserfordernisse eingeleitet werden. Darüber hinaus kann sie in allen Phasen eines Bauprojektes helfen. Findet die Mediation in einem frühen Stadium statt, entfallen die sonst üblichen direkten Verfahrens- und Transaktionskosten für die Aufbereitung des Prozessstoffes sowie die häufig vernachlässigten Vorhaltekosten für Personal (Wagner 2004: 222 f.; vgl. auch Umfrage Konfliktkostenstudie, KPMG 2009). Diese Aspekte wirken sich besonders bei der Mediation von Großbauvorhaben aus, die sehr anfällig für komplexe Konfliktfälle sind.
Bei mehreren Beteiligten gibt es auch mehrere Vertragsebenen sowie arbeitstechnische Verflechtungen und Abhängigkeiten. Somit besteht ein besonderes Risiko für Störungen durch fehlerhafte Abstimmung der zahlreichen Beteiligten, Koordinierungsmängel in den Gewerken, Verzögerungen und Baustillstände. Üblicherweise stellen die Unternehmer oder Planer zum Ausgleich von Mehrkosten erhebliche Nachträge, während der Bauherr im Gegenzug Mängel in der Leistung moniert und Schadensersatzansprüche formuliert.
Übliches Nachtragsmanagement
Die wechselseitigen Forderungen werden als Claims verstanden, die infolge einer Abweichung der tatsächlichen Projektabwicklung von der Soll-Abwicklung hinsichtlich Kosten, Terminen, Leistungsinhalten entstehen (vgl. DIN 69901). Eine detaillierte tatsächliche und rechtliche Prüfung der Nachträge nimmt viel Zeit in Anspruch und ist geprägt von Taktik, Manipulation, Positionsdenken sowie Energieverlusten. Allein da-raus resultiert ein Mediationsbedarf.
Bau-Mediationsbedarf
Bei Großbauvorhaben ergibt sich der Mediationsbedarf aus der Komplexität vorhandener Risikokonfliktpotenziale, der Vielzahl beteiligter Personen und Unternehmen, der langen Laufzeit von gerichtlichen Verfahren mit ungewissen Ergebnissen, dem Willen zum Erhalt von vertrauensvoll gewachsenen Geschäftsbeziehungen, der Vermeidung von streitbedingten Verzögerungen und Kündigungen während der Projektlaufzeit sowie aus dem Willen zur professionellen Herbeiführung eines bestmöglichen Interessenausgleichs.
Die einander gegenüberstehenden Standpunkte der Parteien sind vielfältig, einige können jedoch als typisch für Baukonflikte angesehen werden.
Typische Positionen der Auftragnehmer:
- Planung ist unvollständig / fehlerhaft, Leistungsverzeichnisse und Zeichnungen stimmen nicht überein,
- Änderungen durch Auftraggeber führen zu Verzögerungen / kosten Auftragnehmer viel Geld,
- fehlerhafte Baustellenkoordinierung, Behinderung der Nachfolgegewerke infolge verzögerter Leistungen des Vorunter- nehmers,
- Auftraggeber hält grundlos Abschlagszahlungen ein
Typische Positionen bei Auftraggebern:
- Enttäuschung über den schlechten Zustand der Baustelle,
- Auftragnehmer arbeitet zu langsam und daher völlig unwirtschaftlich,
- Auftragnehmer muss auf Lücken und Fehler im Leistungsverzeichnis / in den Vertragsbedingungen hinweisen,
- „Fachfirma“ muss doch nicht ständig beaufsichtigt und koordiniert werden.
Tipps für eine erfolgreiche Baumediation
Bei Baugroßprojekten werden häufig folgende Themen als Quelle von Problemen genannt: Liefer- und Leistungsumfang, bauseitige Materialien, Baustellenablauf, Terminsituation, pla- nerische Grundlagen, Umgang mit Mängelvorwürfen, Umgang mit Sicherheiten. Fraglich ist, welche Konsequenz eine solche Vielzahl von Einzelstreiten für den Mediator hat. Eine detaillierte tatsächliche und rechtliche Prüfung bei solchen „Punktesachen“ ist für die Mediation nicht ausgeschlossen, aber meist nicht zielführend. So empfiehlt sich eine sinnvolle Zusammenfassung der Themen, etwa wie folgt: Geld (Vergü- tung, Nachträge, Kosten), Vertrag / Leistungen, Umgang miteinander / Kommunikation.
Der nächste Schritt beinhaltet eine umfassende Interessenklärung anhand der tiefer liegenden Bedürfnisse der Parteien. Wechselseitige Beschuldigungen werden in der Regel nicht etwa „sportlich“ hingenommen. Es kommt besonders darauf an, die Enttäuschungen und Befindlichkeiten gründlich herauszuarbeiten. Hier geht es um Wertschätzung, Wiederherstellung des beschädigten Images, Übernahme der Verantwortung und Anerkennung von guten Leistungen.
Bei Großprojekten ist ausreichende Zeit für die Klärung der enttäuschten Erwartungen, Befindlichkeiten, Motive und Kränkungen eine wesentliche Voraussetzung für die wechselseitige Verständigung. Die Arbeit an den „inneren Werten und Wünschen“ schafft eine Basis für die Lösungsphase, die erfahrungsgemäß dann sehr konstruktiv und zügig vonstattengeht.
Lösungsphase
Ein Rückfall in Positionsdenken ist in der Lösungsphase nicht selten. Zur Förderung des Verfahrens sollte der Mediator durch konkrete Fragen herausfinden, ob die Parteien vor allem an einer schnellen Lösung interessiert sind. Wird dies bejaht, verbietet sich eine Einzelthemenbetrachtung für Hunderte von Nachträgen und Mängeln. Auch die möglichen Transaktions- und Verfolgungskosten verbieten eine langwierige und detaillierte Klärung. Somit wirkt der Mediator auf eine Sichtweise hin, die den Verzicht auf die Einzelklärung zugunsten einer schnellen und kostengünstigeren Lösung bedeutet. Anschließend ist auch hier abzufragen, welche Fairness- und Gerechtigkeitskriterien für die Parteien bei der Lösungssuche maßgeblich sein sollen. Die Parteien haben eine längere Geschichte, die sie selbst am besten kennen. Sie haben meist ein gutes Gefühl dafür, was eine gerechte Lösung sein kann, zumindest für einen gewissen Rahmen, den es auszuschöpfen gilt. Geht es auch um eine geschäftliche Zukunft der Parteien, ist der Weg für eine gerechte Einigung regelmäßig offen.
Teileinigungen der Parteien oder Klärungen von Einzelfragen durch Schiedsgutachter sind nicht grundsätzlich ausgeschlos- sen. Schiedsgutachter können für begrenzte Fragen eingeschaltet werden (z. B. rein technische Fragen, baubetriebliche Gutachten über Bauzeitverlängerungskosten, Honorarfragen bei Planern). Eine Klärung von Rechtsfragen scheidet bei Baugroßprojekten aufgrund der Komplexität, streitiger gesetzlicher Regeln und der unterschiedlichen Rechtsprechung aus.
Die Geltung einer Teileinigung muss stets von der Gesamtklärung abhängig gemacht werden. Andernfalls besteht die Gefahr des einseitigen Rückzugs auf die jeweiligen Vorteile der Teileinigung.
Verhandlungsmethoden
Wollen die Parteien eine kurzfristige, kostengünstige und endgültige Lösung, können vom Mediator die gängigen Verhandlungsmethoden abgefragt werden:
50 / 50-Vergleichslösung: Bei diesem häufigen Lösungsansatz könnten die Parteien theoretisch ihr Gesicht wahren. Keine Seite ist Gewinner oder Verlierer. In Orientierung daran kön- nen sich die Parteien anschließend auf eine andere Quote verständigen.
BATNA: Die Ermittlung der BATNAs fragt danach, was die beste Alternative zum Aushandeln eines Ergebnisses in der Mediation wäre. Dazu werden die zu erwartenden Ergebnisse etwa bei einem Gutachten oder Gerichtsurteil prognostiziert, wobei sich jede Partei die eigene BATNA zu bilden hat. Das Verhandlungsergebnis kann sich an dieser Prognose orientieren, zumal bei einer schnellen Lösung erhebliche Verfahrens-, weitere Transaktionskosten und Energieverluste vermieden werden.
Veränderung der Randbedingungen: Eine Hilfe für die Parteien ist etwa die Frage des Mediators nach sinnvollen und vorteilhaften Randbedingungen für die Erfüllung einer Forderung, wie:
- zusätzliche Einführung von Zahlungsbedingungen (Ratenzahlung, Zeitpunkt, Höhe),
- Koppelungsgeschäft: Ersatzauftrag statt (vollständiger) Zahlung (Zeitpunkt, Wert),
- Einbeziehung steuerlicher Überlegungen.
Prozessrisikoanalyse: Im Rahmen einer solchen Analyse wer- den materielle und prozessuale Fragen einer Wahrscheinlichkeitsprüfung unterworfen und bewertet (Neuenhahn 2002: 245–247; Eidenmüller 2007: 115 f.). Mithilfe eines Entscheidungsbaums wird nachvollzogen, wo ein Richter zu unterschiedlichen Beurteilungen eines Teil-Sachverhalts kommen kann, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für die Entscheidung im einen oder anderen Sinne ist und wie sich dies wirtschaftlich auswirkt. Dabei spielen die Prozesskosten im Verhältnis zu den Chancen zu obsiegen eine wichtige Rolle.
Gruppenbildung von Einzelstreiten: Bei zahlreichen Nachtragsforderungen kann eine Prozessrisikoanalyse in verkürzter Fassung hilfreich sein.
Eine weitere Gruppenbildung kann nach folgenden Kriterien erfolgen:
- unstreitige / streitige Mängel,
- behebbare / nicht behebbare Mängel / behebbare Mängel, aber Behebung wegen des Aufwandes unzumutbar,
- analoge Aufteilung nach streitiger Mängelbeseitigung.
Mehrere Beteiligte
Sind mehrere Beteiligte involviert, wird die Mediation häufig im Hauptverhältnis Bauherr – Generalunternehmer durchgeführt. Bereits vorab können einzelne Vertragsbeziehungen wie Generalunternehmer – Subunternehmer für konkrete Gewerke durch Verhandlung oder Mediation geklärt werden. Denkbar sind auch eine temporäre Beteiligung der Subunternehmer im Rahmen der Hauptmediation hinsichtlich der sie betreffenden Mängel / Nach- träge oder nachgelagerte Mediationen zwischen Generalunternehmer und Nachunternehmern nach Ausschöpfung der Claims im Hauptverhältnis. Sinngemäß gelten diese Grundsätze auch für das Verhältnis von Bauherr und Generalplaner.
Fazit
Eine Mediation bei Großprojekten kann bei entsprechendem Willen der Parteien zeitlich aufwendig durchgeführt werden. Der Mediator handelt dann eher wie ein Moderator. Die Baumediation bei Großprojekten führt häufig dann zu interessen- gerechten Lösungen, wenn die Parteien die Hauptprobleme, nämlich die Komplexität, die mangelnde Kontrolle, die bestehenden erheblichen Klärungs- und Prozessrisiken sowie die drohenden Zeit- und Kostenverluste, im Blick haben.
Literatur
Deutsches Institut für Normung e. V. (2009): DIN 69901 „Projektmanagement – Projektmanagementsysteme“. Berlin: Beuth.
Eidenmüller, Horst (2007): Prozessrisikoanalyse in der Praxis. In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, S. 115 f.
Frickell, Michael (2000): Außergerichtliche Streitbeilegung in Bausachen – Eine Darstellung am Beispiel des Münchner Bauschiedsgerichts. In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, S. 158–160.
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2009): Konfliktkostenstudie. Die Kosten von Reibungsverlusten in Industrieunternehmen. Frankfurt am Main.
Neuenhahn, Hans-Uwe (2002): Erarbeitung der Prozessrisikoanalyse und deren Einsatz in der Mediation. In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, S. 245–247.
Wagner, Christof (2004): Mediation im privaten Baurecht: Eine Alternative zum Bauprozess. In: BauR, S. 221–231.
Christoph Bubert ist Rechtsanwalt in der Baurechtskanzlei Osenbrück – Bubert – Kirs- ten – Voppel, Köln. Als Mediator befasst er sich insbesondere mit Bauprojekten. Er bil- det als Mediationstrainer und Mediationssupervisor (Bau-)Mediatoren aus und leitet die Fachgruppe Baugroßprojekte beim Mediation DACH e. V.