Wege aus der kollektiven Gereiztheit

Öffentliche Diskussionen werden immer aggressiver. Etablierte Medien verlieren an Einfluss und Glaubwürdigkeit. Terrorwarnungen, Gerüchte, Verschwörungstheorien, Skandale verbreiten sich in Echtzeit rund um den Globus. „Alternative Fakten“ war das Unwort des Jahres 2017.

Diese Erregungsmuster und große Geschäft mit der Desinformation nimmt der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen in seinem neu erschienenen Buch „Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung“ unter die Lupe.

Pörksen hebt das Internet einerseits als ein wunderbares Medium hervor, das nützliche und erfreuliche Seiten für die menschliche Zivilisation mit sich bringt. Doch der Informationsreichtum beschert auch permanente Verstörung. Der Medienwissenschaftler bestreitet, dass wir inhaltlich und emotional mit all diesen Verstörungen gut umgehen können. Die negativen Folgen seien wachsende Erregung, gereizte Stimmung, Nervosität, gesteigerte Aggression in der Gesellschaft. Diskussionen eskalieren im Netz, Menschen beschimpfen und attackieren sich in aggressivster Weise unter dem Deckmantel der Anonymität, vermehrt sogar offen.

Er schreibt: “Ich glaube, wir leben in einer Übergangsphase. In einer Phase der mentalen Pubertät im Umgang mit den neuen Medienmöglichkeiten. Und wir müssen lernen, medienmündig zu werden.”

Blick von oben auf Internet

In fünf Kapiteln schaut er von oben auf das Internet. Mit gut analysierten Fall-Beispielen erfährt der Leser von übelsten Vernetzungs-Effekten: von gedankenlos hochgeladenen Videos, die Existenzen zerstören, von Verschwörungstheorien, die sich viral verbreiten und Millionen Facebook-User manipulieren, von Fake-News wie die Geschichte des angeblich vergewaltigten russischen Mädchens in Berlin, die sich auswächst zu einem Konflikt, der die russische und letztlich auch die deutsche Regierung beschäftigt.

Im letzten Kapitel entwirft er eine „konkrete Utopie der redaktionellen Gesellschaft“ und zeigt Wege aus dieser kollektiven Erregung.

Bildung und Medienmündigkeit

Vor allem setzt er auf Bildung. Er fordert einen intelligenten Umgang mit all den Informationen im Internet. Kindern sollte der Umgang damit bereits in der Schule beigebracht werden. Er fordert eine Rückkehr zu Wahrheitsorientierung, zu Skepsis und Transparenz. Und spricht in dem Zusammenhang von „Normen und Prinzipien eines ideal gedachten Journalismus”.

Die Nutzer sollten lernen, die Folgen ihres Tuns im Netz richtig abzuschätzen. „Wir könnten es lernen, durch ein eigenes Schulfach, das Medienmündigkeit auf der Höhe der Zeit trainiert. Wir könnten es lernen, indem der Journalismus sich öffnet, indem der Journalismus die Aufklärung über die Spielregeln der eigenen Branche als eine Art Zweitjob begreift. Und wir könnten es lernen, indem auch die Plattformen, die Plattformbetreiber Google, Facebook, die sozialen Netzwerke wirklich offen legen, wie sie Öffentlichkeit verändern.”

Und einfach mal ausschalten

Er gibt auch ein Rezept an die Hand, um jenseits all der aus uns einströmenden Informationen wieder einen klaren Kopf zu bekommen: „Praktiziere, gelegentlich zumindest, auch einen selbstbewussten Autismus, eine selbstbewusste Ignoranz. Auch mal abschalten, um sich dann umso engagierter wieder zuschalten zu können.”

Bernhard Pörksen: Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. Hanser Verlag München

Quellen:

http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/196602/index.html

http://www.hr2.de/literatur/buch-tipps/bernhard-poerksen-die-grosse-gereiztheit,buchtipp-grosse-gereiztheit-100.html

https://www.ndr.de/kultur/buch/sachbuecher/Politisches-Buch-Die-grosse-Gereiztheit,gereiztheit100.html

http://www.deutschlandfunkkultur.de/bernhard-poerksen-die-grosse-gereiztheit-stoppt-die.950.de.html?dram:article_id=411069

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