Im Namen des Volksmundes. Not macht erfinderisch, nicht klug.

Journalisten versuchen dem Innenleben der Justiz auf den Grund zu gehen. Vergebene Liebesmüh, meint Dr. Stefan Grüll, da schon jetzt klar ist, dass das System chronisch überlastet ist.

Von Dr. Stefan Grüll, Berlin.

Lange im gesellschaftlichen Off achselzuckender Selbstverständlichkeit seit Jahrzehnten ein verkümmerndes Dasein fristend, taucht das Fakten-Fakten-Fakten-Magazin FOCUS mit Beginn des Jahres in grelles Scheinwerferlicht, was die Politik von der Öffentlichkeit angenehm ungestört traditionell als fiskalischen Steinbruch zur Finanzierung der Legende von der schwarzen Null missbraucht. Die Rede ist von der Justiz.

Ein Jahr lang, „Woche für Woche“, wie Autor Göran Schattauer am 1. Januar mitteilt, wird FOCUS-Online die Justiz einem „Alltags-Check“ unterziehen und dabei der Frage nachgehen, „warum viele Menschen die Justiz nicht verstehen“ (focus.de/politik/gerichte-in-deutschland). Ein löblicher Ansatz, der aber so sinnvoll sein dürfte, wie die Armee guter Vorsätze vom Klassiker ab sofort und vollständig das Rauchen aufzugeben bis zum Meineid von nun an aber wirklich auf die Figur zu achten. Ein journalistisch ambitioniertes Vorhaben allemal und doch wohl nur resignative Abstumpfung bei denen fördernd, die schon einmal vor einem deutschen Gericht um ihr gutes Recht gestritten haben, um am Ende des zeitlich keineswegs kurzen Prozesses in einen unbefriedigenden Vergleich gezwungen worden zu sein.

Muss man Richterinnen und Richtern wirklich ein Jahr lang über die Schulter schauen, um zu begreifen, dass unter den Roben der Frust mindestens so groß ist wie bei Staatsanwaltschaft, Polizei und den Bediensteten des Vollzugsdienstes, wenn mutmaßliche Straftäter trotz akribischer Ermittlungsarbeit aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, weil die richtigerweise strikten Zeitvorgaben des Rechtsstaates – wieder einmal – nicht eingehalten werden konnten? Personell ausgeblutet. Chronisch überlastet. Das ist marode, nicht modern.

Alternative Streitbeilegungsmethoden

© Fotolia| Corgarashu

Statt ein Jahr damit zu verbringen (zu verlieren), Beispiele für das Augenfällige aus allen Teilen des Landes zusammenzutragen, sollten Medien (und Bürger) mit Macht denen auf die Füße treten, die es in der Hand haben, Besserung zu bewirken. Zweitausend Richterstellen verspricht aktuell die Koalition. Die Opposition wird die regierungsamtliche Luftbuchung sicher alsbald überbieten. 2019 ist eben auch nur ein ganz normales Wahljahr.

Dennoch – so berechtigt Kritik an Politik, die allen alles verspricht. Die den Verzicht, Unrecht zu ahnden, als Entlastung der Gerichte feiert und die der Not geschuldete Abschaffung von sogenannten Bagatellstraftatbeständen als zeitgemäß verklärt, weil die kreative Intelligenz fehlt, denen einen rechtsstaatlichen Strich durch die rechtswidrige Rechnung zu machen, die sich auf Kosten der Allgemeinheit bereichern – an dieser Stelle zu enden, hieße zu kurz zu springen:

Die Justiz ist weder seelenloser Apparat, noch gesichtslose Behörde. Sie ist die Summe der Menschen, die allen Widrigkeiten zum Trotz täglich für das Recht arbeiten. Die Funktionsfähigkeit ist existentiell für den demokratischen Rechtsstaat und im vitalen Interesse der Bürger. Die, die das trotz bezahlter Rechtsschutzversicherungsprämie verinnerlichen, werden beim nächsten Streit am Gartenzaun vermutlich nicht mehr reflexartig auf den Rechtsweg rennend dort genau die Ressourcen binden, die in diesem Moment an anderer Stelle so viel dringender gebraucht werden. Etwa um eine andernfalls einzig dem Fristablauf geschuldete Haftentlassung zu vermeiden.

Keine Frage, es gibt Fälle, in denen ist der Gang zum Gericht geboten, ja zwingend. Aber es gibt jährlich Abertausende von Fällen, für deren Lösung deutlich geeignetere Instrumente nachhaltigen Konfliktmanagements mit unmittelbaren Entlastungseffekten für die Justiz zur Verfügung stehen. Mediation, zum Beispiel.

von Dr. Stefan Grüll, Berlin

Rechtsanwalt und Mediator

dr-gruell.de

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