Nach Sondierung. Vor GroKo – Konfliktanalyse

Die Berliner Politik spricht die Sprache der Mediation.

Die letztendlich gescheiterten „Jamaika-Sondierer“ haben sich in ihren Verhandlungen einer Diktion bedient, die Mediatoren nur allzu vertraut ist. Im Spätherbst 2017, so könnte man glauben, hat das politische Berlin die Mediation für sich entdeckt. Um gleichzeitig festzustellen, dass die Spitzenpolitiker während des fünfwöchigen Prozesses gegen sämtliche Prinzipien erfolgreicher Mediation verstoßen haben. Einzige Ausnahme scheint der Bundespräsident zu sein, den die Medien bereits zum Staatsmediator erkoren haben (ARD Tagesschau, 24.11.2017).

von Stefan Grüll

Das Ergebnis der Bundestagswahl vom 24. September 2017 bedeutet das Ende bewährter Rituale. In einem Sieben-Parteien-Parlament (sechs Fraktionen) gibt es keinen Automatismus für Koalitionskonstellationen mehr. Der Versuch, ein Bündnis aus CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zu formen, hätte vollkommen neue Mechanismen verlangt. Über diese sprachen die Verhandler zwar regelmäßig vor den Kameras; hinter verschlossenen Türen wurde jedoch verhandelt wie eh und je.

Anspruch und Wirklichkeit – das Scheitern der Sondierungsgespräche

© fotolia | Foerschtli

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Sichtweisen wechseln, Verständnis entwickeln und neue Ideen gewinnen – all das versprachen die Unterhändler zu Beginn der Sondierungen. Über alles verhandeln zu können, wenn auch die anderen über alles verhandeln werden, sicherte Katrin Göring-Eckardt (Bündnis 90/Die Grünen) mehrfach öffentlich zu. FDP-Mann Wolfgang Kubicki forderte immer wieder Vertrauen untereinander ein. Unisono wurden die überdimensionierten Verhandlungsdelegationen kritisiert. Statt Themen zu sammeln und Interessen zu definieren, um Lösungsoptionen entwickeln zu können, verbissen sich die Unterhändler in Spiegelstrichdebatten.

Kurz vor dem abrupten Ende beklagte Spitzenmann Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen): „Für die Grünen steht es 0:10.“ Und FDP-Chef Christian Lindner erklärte den Ausstieg mit den Worten: „Wir fühlten uns gedemütigt.“

Das Scheitern in Zitaten. Beleg kollektiven Versagens und des Fehlens einer Gesprächsführung, die Vertrauen hätte herstellen müssen und so den konstruktiven Austausch organisieren können.

Der Bundespräsident: keine Macht, aber viel Einfluss

Nachdem Jamaika schon im Ansatz gescheitert ist, konzentriert sich das mediale Interesse nun auf den Bundespräsidenten. Ins Scheinwerferlicht rückt damit einmal mehr ein Amt, das regelmäßig eher als Staatsnotariat mit Repräsentationspflichten wahrgenommen wird, denn als Machtzentrum mit dem Instrumentarium zur Überwindung einer Krisensituation.

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Verfassungsrechtlich nicht ganz so „zahnlos“, wie gemeinhin vermutet, ist es gleichwohl so, dass ein Bundespräsident primär mit den richtigen, das heißt sorgfältig abgewogenen Worten zum richtigen Zeitpunkt Einfluss auf Entwicklungen nehmen kann. In besonderer Erinnerung geblieben ist Richard von Weizsäckers historische Rede „Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft“ am 8. Mai 1985. Zu nennen ist aber auch Roman Herzogs legendäre „Ruck-Rede“ im Berliner Hotel Adlon am 26. April 1997.

Der Bundespräsident als Staatsmediator

Offizielles-Portraet-F. W. Steinmeier

© Bundesregierung | Steffen Kugler

Auch der aktuelle Amtsinhaber, Frank-Walter-Steinmeier, ist erkennbar gewillt, die Macht des Wortes zu nutzen. Nur einen Tag nach dem geräuschvollen Ende der Sondierungen wies er die Parteien auf ihre aus den Wahlen erwachsene Verantwortung hin, um sodann die Vorsitzenden/Fraktionsvorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien zu Einzelgesprächen zu bitten. Der Staatsmediator auf Shuttlemission sui generis. Im Anschluss daran versammeln sich die Vorsitzenden einer möglichen GroKo im präsidialen Stuhlkreis.

Ausloten, was eventuell doch noch möglich ist. Miteinander reden, um das Gespräch untereinander wieder in Gang zu bringen. Allparteilich, wie es das Amt verlangt. Respektvoll, wie es gegenüber dem Amt geschuldet ist. Vertrauensvoll, wie es der Amtssitz ermöglicht, der im ZDF unlängst als „geschützter Raum“ bezeichnet wurde (ZDF Morgenmagazin, 21.11.2017).

Gelingt es nun noch, die außergewöhnlichen Medianden dafür zu gewinnen, sich auf Politik für das Land zu konzentrieren, statt auf hinlänglich bekannten Wahlkampf-Positionen zu beharren, wäre Mediation tatsächlich an der politischen Spitze des Staates angekommen. Für die Demokratie ganz sicher ein Gewinn. Inhaltlich ist das Ergebnis nicht zu bewerten; ob Staatsmediator oder richtige Mediatoren: Allparteilichkeit gilt jederzeit. Wir sind und bleiben neutral.

Autor: Dr. Stefan Grüll

Rechtsanwalt; Schwerpunkt Medien. PR/Krisen-PR.
Mediator (Wirtschaft). Ehem. Abgeordneter.
Kontakt: www.dr-gruell.de.

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