Wenn im Wald vor lauter Bäumen die Autobahn zur Sackgasse wird.

Ob Maaßen oder Hambacher Forst: Wenn als Konfliktmanagement etikettierte Unfähigkeit, richtig zu streiten, Konflikte erst richtig anheizt und Beliebigkeit die Argumente aller Beteiligten speist, bedarf es einer Instanz, die den Diskurs justiert. Die Medien könnten dies sein, sind es aber nicht. Das Vakuum müssen andere füllen, bevor andere es füllen. 

von Dr. Stefan Grüll

Auf der nach links und rechts offenen Maaßen-Skala bedarf es wohl der Quadratur des Kreises, um erfassen zu können, worum es auf der mit Polemik verschütteten Sachebene zuletzt überhaupt noch gegangen ist. Jedenfalls nicht mehr nur und schon gar nicht prioritär um Verbleib oder Entsorgung eines mittels temporärer Beförderung zum Objekt politischer Interessen degradierten Spitzenbeamten. Für die (den) einen unverzichtbarer Sicherheitsexperte, für die anderen ins Braune abgedriftetes Sicherheitsrisiko. Einem ersten Kompromiss folgen weitere Absurditäten. Im Zentrum eines demoskopischen Tsunamis erscheint politischer Suizid als Überlebensstrategie im Regierungsamt. Auf diese Idee muss man auch erstmal kommen.

Ortswechsel: Nicht minder verbissen, wenn auch ungleich unmittelbarer wird derzeit im Hambacher Forst gekämpft. Aktivisten gegen Staatsmacht. Auge um Auge. Machtvoll machtlos. Die Unfähigkeit, richtig zu streiten, hat viele Gesichter. Die im Fall Maaßen kennt man aus dem Fernsehen. Die im Wald sieht man nicht. Die eine Seite vermummt mit Sturmhaube und Kapuze. Auf der anderen Seite Helm und Visier. Die Beamtinnen und Beamten halten erneut den Kopf hin für das, was starker Staat sein will. Gegenüber stehen sich in Wahrheit eine Politik, die keine Antworten hat, und eine neue APO, die mit moralischem Absolutheitsanspruch auf- und zutritt; 1968 reloaded. Was immer sie trennen mag, gemeinsam ist den Kontrahenten, der Eskalation Vorschub zu leisten, die man vorgibt, vermeiden zu wollen.

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In Schuldzuweisungen gefangen wird mit allen Fingern auf die anderen gezeigt. So ist kein Finger mehr übrig, der auf die eigene Person (Position) zurückweist. Sie geben unisono vor, sich um die Demokratie zu sorgen, und arbeiten getrennt voneinander mit verstörend verbindender Akribie an deren Destabilisierung. Der Bürger staunt und wendet sich ab. Der Shitstorm suggeriert Mehrheit und die Politik behauptet, verstanden zu haben. Dabei doch lediglich wie ein Seismograf der Ängstlichkeit auf Stimmungen reagierend, die man glaubt, so in Stimmen umwandeln zu können. Ein Irrtum. Der Deutschlandtrend liefert die Zahlen. Woche für Woche der empirische Beleg für die Erosion, der mit Bulletins veröffentlichter Empörung nicht beizukommen ist. Das Gegenteil ist der Fall. Und die Medien wirken daran mit:

Berichte von den koalitionäten Krisengipfeln im Sekundentakt. Holzschnitt lässt kaum noch Zeit für Analyse. Wo Partei ergreifende Bekenntnisse abgelegt werden, fehlt der Platz für faktenbasierte Berichte mit davon erkennbar getrennter Kommentierung. Wenn Chefredakteure durch parteiische Kurzstatements in den sozialen Medien zu Kombatanten der einen oder anderen Seite werden, müssen sie sich die Frage nach ihrem publizistischen Selbstverständnis gefallen lassen: Arbeiten sie noch dem Auftrag öffentlicher Meinungsbildung verpflichtet oder nur noch im Dienste selbst auferlegter Missionierung. Der Kampf gegen Rechts oder was man dafür hält, ist gut gemeint. Aber auch gut gemacht und im Ergebnis gut? Handwerklich sauber? Umfassend recherchiert? Ab- und ausgewogen? Das verfassungsrechtliche Privileg der Pressefreiheit gibt die Antwort. Das Signet der „vierten Macht“ verpflichtet! Je hysterischer die Kakophonie im politischen Raum im Ringen um Deutungshoheit, je unnachgiebiger die Attitüde im Kampf um Macht(erhalt), je aggressiver der Anspruch auf DIE Moral – desto größer MUSS die Distanz derer sein, die berichten, um uns Bürgern eine verantwortliche Einordnung der Geschehnisse und Bewertung der handelnden Personen zu ermöglichen. Wenn die Koalition (nicht nur) in der Causa Maaßen die nächste Sackgasse wieder mit einer Autobahn verwechselnd mit Vollgas gegen die Wand fährt, sollte die Presse nicht im Wagen sitzen. Wenn in NRW gesprochenes Recht durch die Polizei durchgesetzt wird gegen einen Widerstand, der für die Rechte der verfassungsrechtlich geschützten Lebensgrundlagen eintritt, dürfen die Medien weder in den Baumhäusern aus falscher Solidarität mental mitkauern, noch auf den Wasserwerfern des staatlichen Gewaltmonopols im Geiste mitfahren.

 

Im Hambacher Forst ist ein Mensch gestorben. Ein Unfall. RWE kann weiterhin auf Räumung bestehen. Die Polizei muss ausführen und den Kopf hinhalten für die Politik, die den starken Rechtsstaat feiern wird und doch nur sich meint. Die Gegner wiederum werden sich in ihrer Rolle als moralische, wenn auch durch nichts und niemanden legitimierte Vetoinstanz gegen alles bestärkt sehen, was nicht in ihr teils krudes Weltbild einer anderen Republik passt. Wäre es da nicht an der Zeit, wirkliche Stärke im Sinne von innerer Größe zu zeigen und einen Dialog zu initiieren, der auf der Basis von Recht und Gesetz, wechselseitiger Achtung und der Überwindung zementierter Feindbilder legitime Interessen legal ausgleicht. Ein frommer Wunsch? Die Alternative – die Fortschreibung des Versagens – ist doch täglich zu bestaunen. Der Versuch also lohnt. Fraglich ist nur, wer die Souveränität besitzt, den Anfang zu machen. Derjenige könnte nur gewinnen, ergebnisunabhängig.

 

Dr. Stefan Grüll

dr-gruell.de

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