Rezension von Dr. Gernot Barth – Mediation als Brücke der Verständigung
(Metzner 2013. 342 Seiten. 38,80 Euro. ISBN: 978-3-943951-08-0)
Buchautoren: Gary Friedman, Jack Himmelstein
Die Pointe gleich vorweg: Wer verstehen will, weshalb in Deutschland Mediation so durchgeführt wird, wie sie durchgeführt wird, der sollte dieses Buch lesen. Es ist die spannende Darstellung der „verstehensbasierten Mediation“. Im Wesentlichen gilt diese in Deutschland als Mediation. Die Protagonisten, jene, welche die Autoren Gary Friedmann und Jack Himmelstein vom kalifornischen Center of Understanding in Conflict seit 1989 vor allem in Deutschland begleiteten, kommen eingangs mit ihrer Sicht zu Wort. Es ist zu einem großen Teil ihr Verdienst, dass die Mediation in der deutschen Konfliktkultur fest verankert ist.
Die beiden Autoren gehören zu den Wegbegleitern der Mediation im deutschsprachigen Bereich. Als Anwälte und Mediatoren lehren und forschen sie seit mehr als dreißig Jahren über Methoden zur alternativen Konfliktbeilegung (ADR). Weltweit bildeten sie Tausende Anwälte, Richter sowie Angehörige psychosozialer Berufsgruppen im verstehensbasierten Modell der Mediation aus.
„Challanging Conflict: Mediation Throught Understanding“, so der amerikanische Originaltitel des 2008 erschienenen Buches, beschreibt eine Herausforderung durch Konflikte, welche nach Gisela und Hans-Georg Mähler „durch aufrichtiges Verstehen unter Einbezug der jeweiligen Gefühlswelten eine Begegnung zwischen unterschiedlichen Ausgangspunkten und Sichtweisen“ ermöglichen soll (S. 22). In dieser Beschreibung wird bereits die besondere Herausforderung des Ansatzes auch für potenzielle Medianden sichtbar: „Aufrichtigkeit“ und „Gefühl“ scheinen doch in der Wirtschaftswelt eher ein Nischendasein zu führen. Den Autoren geht es nämlich auch darum, eine „gewisse Menschlichkeit wieder her(zu)stellen“ und einen Weg zu finden, bei dem „nicht nur um Lösungen ‚geschachert‘ wird“ (S. 13).
Der grundsätzliche Weg besteht darin, nicht in den Handlungen des jeweiligen Gegenübers die Wurzeln des Konfliktes zu sehen, sondern GEMEINSAM auf dem Weg der ZUSAMMENARBEIT einen Ausweg zu finden. Neben diesem nennen die Autoren weitere drei zentrale Prinzipien:
- „Gegenseitiges Verstehen: Die Kraft dieses Verstehens ist mächtiger als jede Form von Druck oder Überredung.
- Eigenverantwortung: Die Verantwortung für die Konfliktbeilegung liegt allein bei den Medianden.
- Wahrnehmung tieferer Konfliktgründe: Passende Lösungsoptionen werden sichtbar, wenn der Konflikt in seiner gesamten Dimension bewusst wahrgenommen wird.“ (S. 35).
Die praktische Umsetzung sowie die systematisch-theoretische Darstellung nehmen die Autoren anhand einiger (zehn) typischer Falldarstellungen vor. Da sowohl Dialoge und Szenen aus dem Prozess detailliert dargestellt (protokolliert) als auch Erklärungen zur Konfliktdynamik der jeweiligen Fälle erläutert werden, ist ein Nachvollziehen dieses Ansatzes möglich. Damit eignet sich das Buch sowohl für Mediatoren als auch für Führungskräfte, die die Absicht haben, mediative Konfliktlösungen in ihrem Unternehmen zu etablieren.
Zum Inhalt. Nach einer Reihe von inhaltlich sehr interessanten Vorworten zu Vorstellungen von Wegbegleitern erfolgt eine Einführung in die Prinzipien des Modells (S. 31–44). Daran anschließend wird an Praxisbeispielen der Prozess demonstriert, innerhalb dessen die Wahl des Mediationsverfahrens erfolgt. Hier wird der Grundstein für eine freiwillige Entscheidung zur gemeinsamen Konfliktarbeit gelegt. Insbesondere wird hier der Einfluss von Rechtsnormen und Rechtsanwälten thematisiert. Verhandeln erfolgt im „Schatten des Rechts“ (Abschnitt 2, S. 45–122). Dem Phasenmodell der Mediation folgend geht es im Abschnitt 3 um eine Vertiefung des Verstehens im Konflikt, bezogen sowohl auf sich selbst als auch auf den anderen. Dabei steht insbesondere die „Recht-Unrecht-Falle“ im Fokus. Der Abschnitt 3 widmet sich den Herausforderungen bei der Zusammenarbeit im Verfahren. Hier wie auch im gesamten Buch wird der Beziehung zum Recht große Aufmerksamkeit gewidmet. Haynes und Himmelstein heben hervor, dass im Rahmen der verstehensbasierten Mediation die „Rechtswirklichkeit“ wie auch wirtschaftliche und persönliche Gegebenheiten einzubeziehen sind (S. 181). Diese durchgehende Betonung des Rechts hat sicher ihren Hintergrund in den Herkunftsberufen der Autoren. Schließlich ist Mediation auch mit sehr reduziertem Blick auf das Recht durchführbar. Abschließend (S. 271–344) geht es von den Interessen zu den Lösungsoptionen, um die Öffnung eines Raumes für kreative Lösungen und um den Abschluss des Verfahrens. Deutlich wird, wie der Konflikt als Chance begriffen werden kann, eine tiefere Verbindung zueinander herzustellen und eine neue Form des Zusammenlebens zu finden.
Haynes und Himmelstein plädieren mit ihrem verstehensbasierten Modell dafür, dass „direkt und gleichzeitig“ – in einem Raum – mit beiden Parteien zusammengearbeitet wird. Sie nehmen damit auch explizit Stellung gegen eine „sogenannte Einzelgespräch-Mediation (Caucusing) oder Shuttlemediation“, bei der sich die Parteien regelmäßig getrennt voneinander treffen (S. 37). Die Auswirkungen auf die deutsche Mediationslandschaft scheinen mir beträchtlich zu sein: Zunächst dominiert mit dem verstehensbasierten Modell die Face-to-Face-Mediation. Shuttlemediation gerät in den Ruf, keine „richtige“ Mediation zu sein, weil man nicht gemeinsam in einem Raum arbeitet und demzufolge eine „Verbindung“ nicht entsteht. Wichtig scheint mir jedoch, dass eine Lösung erarbeitet wird. Die Verbesserung menschlicher Beziehungen muss nicht Aufgabe einer Mediation sein. Mediationsverfahren, die nicht bis zum tiefen gegenseitigen Verstehen kommen, aber dennoch eine Vereinbarung erzielen, geraten aus der Perspektive des Modells in den Ruf, keine solchen zu sein.
Dem Team des Metzner-Verlages um den Redakteur Jürgen Heim sei dafür gedankt, sich der aufwendigen Arbeit der Herausgabe dieses Buches gestellt zu haben. Es ist eine tragende Säule für die Beschreibung des deutschen Weges in eine sich wandelnde Kultur der Konfliktvermittlung.