Das achte Strategem empfiehlt, seinen Gegner zu täuschen, indem man ihm falsche Informationen liefert, um ein Überraschungsmoment zu erzeugen. Es geht auf Liu Bang, den Begründer der Han-Dynastie, zurück. Dieser ließ mühsam einen Holzweg durch die Gebirge bauen, wodurch seine Gegner in dem Glauben gelassen wurden, sie hätten eine längere Vorbereitungszeit bis zum Eintreffen der Truppen. In Wirklichkeit jedoch nahmen die Truppen einen anderen Weg und konnten so den überraschten Gegner überlisten. Eine solche Taktik auch in Verhandlungssituationen zu nutzen scheint verlockend. Die Literatur zeigt allerdings, dass Täuschungen in Verhandlungssituationen selten zu optimalen Ergebnissen führen. Anders als im Krieg ist eine erfolgreiche Verhandlung nicht darauf ausgerichtet, das Gegenüber zu besiegen, sondern eine Lösung zu finden, die die Bedürfnisse beider Parteien befriedigt.
Täuschungen funktionieren bei Verhandlungen nicht, da es durch die Hinzugabe falscher Informationen oder die Verschleierung der eigenen Intentionen schwieriger wird, den Lösungsraum zu vergrößern. Nur wenn die Interessen aller Parteien offen und ehrlich kommuniziert werden, ist es möglich, die besten Lösungen für alle Beteiligten zu finden.
Es mag also sein, dass ein Überraschungsmoment im Krieg einen entscheidenden Vorteil verschaffen kann. Psychologisch betrachtet gilt es jedoch, seinen Verhandlungspartner auch als solchen zu betrachten und den offiziellen Weg nach Chencang zu gehen.
Zum Autor: Wie bereits in den vergangenen Jahren erhält die nächste Generation von Verhandlungsführern und Mediatoren die Möglichkeit, kreative Ideen, Entdeckungen und Hinweise in Kürze vorzustellen. In dieser Runde der Nachwuchsseite präsentieren Teilnehmer des Master-Kurses „Verhandlung und Konfliktmanagement“ der Universität Münster ihre Interpretation der „Sechsunddreißig Strategeme“ in Bezug auf Verhandlung und Mediation. Hier ein Beitrag des Studenten Michael Wood.