Konfliktkosten und deren Folgen für Unternehmen wer- den stark unterschätzt. Gleichwohl scheinen Konflikte am Arbeitsplatz allgegenwärtig zu sein. Verschiedene Studien bestätigen dies. Ungeachtet kleiner Abweichungen im Detail, die einem variierenden Aufbau und unterschiedlichen Abgrenzungen geschuldet sind, weisen sie tendenziell alle in die gleiche Richtung:
Konflikte in Zahlen
- Zwischen 20 % und 40 % der Arbeitszeit wenden Führungskräfte für die Bewältigung von Konflikten auf (Runde / Flanagan 2012: 17).
- In jedem Unternehmen werden 10 % bis 15 % der Arbeitszeit für die Konfliktbewältigung beansprucht (KPMG 2009).
- Im globalen Durchschnitt verbringen Mitarbeiter 2,1 Stunden pro Woche mit Konflikten (CPP 2008: 4).
- 85 % der Beschäftigten geben an, Konflikte innerhalb ihres Unternehmens zu erleben (CPP 2008: 4)
- Das Reduktionspotenzial von destruktiven Konflikten beträgt zwischen 25 % und 50 % (KPMG 2009).
- Die höchsten Konfliktkosten entstehen für Industrieunterneh- men durch gescheiterte und verschleppte Projekte. 50 % der Unternehmen geben dafür ungeplant 50.000 Euro pro Jahr aus (KPMG 2009).
- Die Kosten pro Mobbingfall betragen im Durchschnitt 60.000 Euro (KPMG 2009).
- Der Verlust eines Mitarbeiters und die Neubesetzung seiner Stelle können bis zu 150 % des Jahresgehalts des Betroffenen betragen (SHRM 2017).
Die zwei Seiten von Konflikten und ihre Auswirkung auf die UnternehmenseffizienzBei Betrachtung dieser Zahlen stellt sich die Frage: Verschwenden wir zu viel Zeit mit Konflikten?
Zunächst ist es wichtig, zwischen konstruktiven und destruktiven Konflikten zu unterscheiden. Reibungen innerhalb eines Unternehmens sind nicht immer negativ zu betrachten, denn gerade Innovation erfordert Meinungsvielfalt und Differenz. Zeigen sich konstruktive Verhaltensweisen in konfliktreichen Situationen, können sie der Nährboden für Kreativität, Zusammenhalt und Weiterentwicklung sein. Als weitestgehend konstruktiv können sich dabei die Fähigkeiten erweisen, andere Perspektiven einzunehmen, Lösungen zu entwickeln, empathisch zu sein oder Probleme offen anzusprechen.
„Ist die Zeit das Kostbarste unter allem, so ist Zeitverschwendung die allergrößte Verschwendung.“
Benjamin Franklin
Die Folgen eines destruktiven Konfliktverhaltens hingegen sind in diesem Sinne weitestgehend als Verschwendung zu betrachten. Sie wirken zerstörerisch und beinhalten ein großes Maß an „versteckten Verschwendungen“. Oft bergen sie auch ein unerkanntes Einsparpotenzial. Zu destruktiven Verhaltensweisen gehört unter anderem, wenn Konflikte nicht angesprochen und Emotionen unterdrückt werden, wenn jemand laut wird, andere unangemessen kritisiert oder wenn es um das bloße Gewinnen von Auseinandersetzungen geht. Um das Ausmaß solcher Ineffizienzen greifbar zu machen, bedarf es variabler Hilfsmittel, da sich die Effekte in unterschiedlicher Weise zeigen.
Der Konfliktkostenrechner – ein geeignetes Werkzeug, um blinde Flecken aufzudecken
Es ist oft schwer zu erkennen, welche enormen Kosten durch destruktive Konflikte verursacht werden. Der Konfliktkostenrechner (www.konfliktkostenrechner.de) schafft Abhilfe, um aus einem Bauchgefühl konkrete Zahlen zu machen. Um die Kosten im Zusammenhang mit destruktiven Konflikten besser fassen zu können, hat Oliver Ahrens 2012 dieses Online-Tool entwickelt. Konfliktkosten werden dabei anhand von sieben häufigen Konfliktsymptomen systematisch erfasst, darunter Mitarbeiterverlust, Krankheiten und Fehlzeiten, Schaden am Betrieb, Kundenfluktuation, Teamprobleme, Prozessprobleme und Sanktionen. Dabei werden in den jeweiligen Bereichen die verschwendeten Personalkosten, Geldaufwendungen und Auswirkungen von Ineffizienzen ermittelt. Die Konfliktkosten eines Unternehmens werden so ganzheitlich erfasst und können als Entscheidungsgrundlage für zielgerichtete Interventionsstrategien fungieren.
„You can’t manage, what you can’t measure.“
Peter Drucker
Indem die Ineffizienzen beziffert werden, schafft der Konfliktkostenrechner Transparenz und eine geeignete Diskussionsgrundlage. Auf diese Weise lässt er bei den Entscheidungsträgern Handlungsdruck entstehen, um schlussendlich auf ein besseres Miteinander hinzuwirken.
Praktisches Beispiel: Konfliktkosten im Zuge einer Abteilungszusammenlegung
Aufgrund einer veränderten Unternehmensstrategie sollen zwei Abteilungen zusammengelegt werden. Geplant ist, dass fortan die zwei Abteilungsleiter gemein- sam die Führung eines Bereichs übernehmen und Zuständigkeiten neu definiert werden. Insgesamt sind 23 Mitarbeiter von der Abteilungszusammenlegung betroffen. Die Geschäftsleitung beschließt, einem Abteilungsleiter die operative und dem anderen die strategische Verantwortung zu übertragen. Es wird ein gemeinsames Event geplant, das teambildend wirken soll. Ein gemeinsamer Tag mit Outdoor-Teamaktivitäten und eine anschließende Abendveranstaltung sollen den Grundstein für eine fortwährende und konstruktive Zusammenarbeit legen. Schon am Tag des Teamevents wird sichtbar, dass einige Ressentiments zwischen den Abteilungen bestehen. Aufgrund einer unklaren Rollenverteilung gestaltet sich auch die Zusammenarbeit der beiden Abteilungsleiter von Beginn an schwierig. Bei zahlreichen Themen zeigt sich, dass die operativen und strategischen Verantwortungen nur schwer voneinander abzugrenzen sind. Für manche Themen fühlen sich beide zuständig, für andere wiederum keiner von ihnen. In den folgenden sechs Monaten spitzt sich die Situation immer weiter zu. Inoffiziell existieren weiterhin zwei verschiedene Teams, hinter vorgehaltener Hand werden abfällige Bemerkungen gemacht und Gerüchte gestreut. Die Kommunikation innerhalb der Abteilung läuft schleppend, es kommt häufig zu Sticheleien und ein technischer Mitarbeiter verlässt aufgrund des schlechten Arbeitsklimas das Unternehmen. Zwischen den beiden Abteilungsleitern entwickeln sich immer wieder heftige Diskussionen. Die ungelösten Konflikte wirken sich zudem physisch und psychisch auf einzelne Beteiligte aus, was zu Krankheit und Fehlzeiten führt. Wegen interner Kommunikationsprobleme ergeben sich Prozessineffizienzen, wodurch Kundenerwartungen nicht mehr erfüllt werden können. In der Folge führt dies sogar zum Verlust von Kunden.
Die im Zuge der destruktiven Konflikte entstandenen Kosten, die im Laufe von sechs Monaten nach der Abteilungszusammenlegung aufgelaufen sind, lassen sich nach Anwendung des Konfliktkostenrechners mit einer Höhe von 225.800 Euro beziffern. Abbildung 1 (rechts) zeigt die Verteilung der Kosten auf.
Die Zahlen beruhen teils auf konkreten Posten, teils auf Schätzungen. Für die Bewertung der Konfliktkosten wurden folgende Annahmen genutzt und diese dem Konfliktkostenrechner als Standardwerte hinterlegt (bei Bedarf können sie grundsätzlich angepasst werden):
Annahmen (Beispielfall) | |
Durchschnittliche Kosten der betroffenen Mitarbeiter für den Arbeitgeber pro Jahr (Jahresgehalt inkl. Nebenkosten: Bezugswert, der dem Kostenanteil entspricht, der dem Arbeitgeber maximal in einem Jahr entstehen würde, wenn der Mitarbeiter zwar von ihm bezahlt wird, aber keinen wertschöpfenden Beitrag leistet | 50.000 € |
Anzahl der Arbeitstage pro Jahr | 220 Tage |
Durchschnittlich entgangener Deckungsbeitrag je Mitarbeiter (Opportunitätskosten, wenn ein Mitarbeiter nicht seinen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten kann; der Schätzung zugrunde liegende Annahmen:
| 40.000 € |
Kostentreiber Teamprobleme
Mit insgesamt 75.500 Euro machen Teamprobleme 33 % der gesamten Konfliktkosten im Beispielfall aus. Eine Konfliktlösung in diesem Bereich bietet mit Abstand das größte Potenzial für eine Senkung der Konfliktkosten. Wenn die Kommunikation innerhalb eines Teams nicht funktioniert und die Zusammenarbeit konfliktbehaftet ist, gibt es starke Störungen bei der Zielerreichung. Es entstehen dabei vor allem hohe Kosten in folgenden Bereichen:
1. Leistungsminderung und sinkende Ergebnisqualität. Ist die Zusammenarbeit aufgrund von Konflikten beeinträchtigt, leidet darunter die Leistungsbereitschaft oder auch Leistungsfähigkeit hinsichtlich der eigentlichen Aufgaben. Häufig sinkt zudem die Ergebnisqualität der einzelnen Arbeitsbeiträge. Die Projektarbeit wird zunehmend ineffizient bis hin zu ineffektiv. Bei einer Leistungsminderung von elf involvierten Mitarbeitern von jeweils 10 % in einem Zeitraum von sechs Monaten ergeben sich destruktive Konfliktkosten von 27.500 Euro.
2. Wesentliche Kosten entstehen durch ineffiziente zusätzliche Besprechungen. Bei ungeklärten Konflikten besteht meist zusätzlicher Klärungsbedarf; dieser bindet unnötig Arbeitszeit und behindert die Bewältigung unternehmensrelevanter Aufgaben. Wird davon ausgegangen, dass die betroffenen Mitarbeiter in einem Zeitraum von sechs Monaten im Durchschnitt etwa eine Stunde pro Woche für zusätzliche Besprechungen aufgewendet haben – eine Stunde pro Woche, in der sie nicht ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen konnten –, ergeben sich Kosten von 12.100 Euro.
3. Aufgrund von Terminverzögerungen mussten zusätzliche Auf- wände betrieben werden, um die ausbleibenden Projektergebnisse zu kompensieren. Diese Maßnahmen beanspruchten in etwa 5.000 Euro.
4. Die Prozessineffizienz aufgrund ausbleibender Projektfortschritte wurde über den sechsmonatigen Zeitraum auf 10 % von 12 der 23 Mitarbeiter geschätzt. Es sind dabei vermeidbare Kosten von rund 22.000 Euro entstanden.
5. Ein Projektabbruch aufgrund bestehender interner Differenzen bedeutet verlorene Arbeitszeit – investierte Arbeitszeit der beteiligten Mitarbeiter, die für andere Ziele hätte verwendet werden können. Im vorliegenden Fall wurden Arbeitszeitressourcen zweier Mitarbeiter im Ausmaß von zwei Wochen gebunden, wodurch ein zusätzlicher destruktiver Kostenaufwand von 4.600 Euro entstand.
6. Insgesamt ergaben sich verschwendete Mittel bzw. Kosten für getätigte Investitionen / Gemeinkosten, die nach Projektabbruch nicht sinnvoll weiterverwendet werden konnten, von 3.300 Euro.
7. Können Projekte nicht zeitgerecht und nach bestimmten Qualitätsstandards abgeschlossen werden oder müssen sie gar abgebrochen werden, kann dies auch zu einer Minderung des Unternehmenswertes führen. Dieser Betrag wird im Beispiel sehr zurückhaltend auf 1.000 Euro geschätzt, bleibt gleichwohl aber als Wirkung im Bewusstsein.
Sinnvolle Maßnahmen
Die entstandenen Konfliktkosten von 225.800 Euro könnten laut einer KPMG-Studie (2012) um 25 % bis 50 % reduziert werden, wenn zielführende Maßnahmen ergriffen würden. Doch welche Maßnahmen sind sinnvoll? Wir schlagen Lösungen für ein effektiveres Miteinander auf zwei Ebenen vor:
Präventive Maßnahmen: Probleme und Konflikte zwischen den betroffenen Mitarbeitern müssen ausgesprochen und bearbeitet werden. Mehr Klarheit über Zuständigkeiten ist notwendig, um bestehende Rollenkonflikte aufzulösen, sowohl zwischen den Mitarbeitern der zusammengelegten Abteilungen als auch insbesondere zwischen den beiden Führungskräften. Zudem können weitere Trainings der Mitarbeiter stattfinden, um eine Kommunikationskultur zu etablieren, die deeskalierend in herausfordernden Konfliktsituationen wirkt. Es gilt, Transparenz und eine klare Kommunikation über Unternehmensziele sowie eine offene Feedbackkultur im Unternehmen zu etablieren.
Soforthilfe: Bei bereits eskalierten Konflikten kann ein Mediator eingesetzt werden. Zudem ist es wichtig, unternehmensinterne Anlaufstellen, wie beispielsweise Ombudsstellen, einzurichten.
Die notwendigen Beratungskosten, Mediationskosten und Zeitaufwendungen zur konstruktiven Konfliktbearbeitung sind in diesem Szenario vergleichsweise gering gegenüber den zuvor aufgeführten Konfliktkosten. Somit bestätigt sich das Reduktionspotenzial in der genannten Größenordnung von bis zu 50 %. An dieser Stelle ist zu betonen, dass ein konstruktives Miteinander weitaus mehr bedeutet als eine reine Kostenersparnis.
„Ein gelingendes Miteinander ist die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Unternehmensentwicklung, in der gegenseitige Wertschätzung gelebt wird und Menschen gemeinsam an einem Strang ziehen, um ihre Ziele zu erreichen.“
Lisa Steindl, 2018
Nun sind Führungskräfte und Entscheidungsträger gefragt, ihre Komfortzone zu verlassen, sich den Konflikten zu stellen und somit das Potenzial versteckter Konfliktkosten zu nutzen. Das Wort „Konflikt“ löst bei vielen Menschen negative Assoziationen aus. Ob es nun aber gefällt oder nicht – Konflikte sind unvermeidbar, wenn Menschen zusammenarbeiten. Konflikte entstehen, sobald verschiedene Interessen aufeinanderstoßen. Sie sind ein wesentlicher Teil von Veränderung und Weiterentwicklung.
Der österreichische Neurologe und Psychiater Viktor E. Frankl schrieb einmal: „Zwischen Reiz und Reaktion liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht zur Wahl unserer Reaktion. In unserer Reaktion liegt unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“ Genauso verhält es sich auch bei Konflikten: Es steht uns frei, unser Verhalten zu wählen. Verhalten wir uns destruktiv, indem wir beispielsweise Konflikten aus dem Weg gehen, faule Tricks anwenden oder Machtkämpfe austragen, wird jeder Konflikt zu einer Qual. Es gilt, die Perspektive zu wechseln, das Ohnmachtsgefühl abzuwehren und bewusst konstruktive Maßnahmen zu ergreifen, um unterschiedliche Interessen letzt- endlich auch als Chance nutzen zu können.
Dazu ist zunächst die „unbekannte“ oder auch „verdeckte“ Verschwendung destruktiver Konfliktkosten sichtbar zu machen. Denn wer die Auswirkungen nicht sieht, unterschätzt das Problem. So wird aus etwas Diffusem und Bedrohlichem etwas Greifbares und Einschätzbares. Es können Anknüpfungspunkte für zielgerichtete Maßnahmen geschaffen werden. Schlussendlich wird das „Unbekannte“ demaskiert und der Mut zum Handeln geweckt.
„Die Unbekannten bleiben unbearbeitet.“ Oliver Ahrens, 2012
Lisa Steindl, M. A.
Mediatorin, systemischer Coach und Betriebswirtin. Sie unterstützt Unternehmen dabei, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, in dem Menschen konstruktiv und effizient miteinander arbeiten. In ihrem Fokus stehen neue Formen der Zusammenarbeit mit einer ganzheitlichen Perspektive (www.gscheitermiteinander.at).
Dr. Oliver Ahrens, MBA
Leiter bei der Festo AG & Co. KG. Ingenieursausbildung (Universität Bremen), Master of Business Administration (New York University), Fortbildung zum Wirtschaftsmediator (Steinbeis-Hochschule Berlin). Ahrens hat den Konfliktkostenrechner zur Quantifizierung von Konfliktfolgen entwickelt (www. konfliktkostenrechner.de).
Literatur
CPP Global (2008): Human Capital Report: Workplace Conflict and How Busines- ses Can Harness it to Thrive. Online abrufbar unter: https://www.cpp.com/ pdfs/CPP_Global_Human_Capital_Report_Workplace_Conflict.pdf.
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2009): Konfliktkostenstudie – Die Kosten von Reibungsverlusten in Industrieunternehmen. Online abrufbar unter: http://seventools.at/wp-content/uploads/2014/12/KPMG_Konfliktkosten- studie.pdf.
KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft (2012): Best Practice Konflikt(kos- ten)-Management 2012. Der wahre Wert der Mediation. Online abrufbar unter: https://assets.kpmg/content/dam/kpmg/pdf/2013/02/best-practice-konfliktkosten-management-2012-kpmg.pdf.
Runde, Craig E. / Flanagan, Tim A. (2012): Becoming a Conflict Competent Leader: How You and Your Organization Can Manage Conflict Effectively (2nd ed.). San Francisco: Jossey-Bass.
SHRM Society for Human Resource Management (2017): 2017 Employee Benefits. Remaining Competitive in a Challenging Talent Marketplace. Online abruf- bar unter: https://www.shrm.org/hr-today/trends-and-forecasting/research- and-surveys/Documents/2017%20Employee%20Benefits%20Report.pdf.