Splitter zum erfolgreichen Verhandeln: Haltung der Gelassenheit

von Dr. Gernot Barth

Zum Einstieg möchte ich Ihnen zunächst eine kleine Legende erzählen, anhand derer ich meine Empfehlungen für Ihre nächste Verhandlung darlegen werde:

Ein junger Zen-Mönch hatte einen wichtigen Brief zu überbringen. Auf seinem Weg stellte sich ihm auf einer Brücke ein erfahrener Samurai in den Weg, der den Schwur geleistet hatte, die ersten 100 Männer, die die Brücke überqueren wollten, zu töten, 99 hatten es bisher versucht. Der Mönch bat ihn, den Brief noch übergeben zu dürfen, und dann würde er sich dem Kampf stellen. Der Samurai stimmte zögerlich zu.

Der Mönch übergab dem Adressaten den Brief und verabschiedete sich mit den Worten: „Ich muss einen Kampf mit einem großen Samurai bestehen und habe doch noch nie ein Schwert in den Händen gehalten. Gewiss wird er mich töten.“ „Ja“, antwortete der Meister, „der Tod scheint Dir gewiss, denn Du hast keine Chance zu siegen. Ich werde Dich auf den Tod vorbereiten. Die beste Art zu sterben scheint mir, ist, die Augen zu schließen, das Schwert über den Kopf zu heben und zu warten. Wenn Du dann etwas Kaltes auf Deinem Scheitel spürst, lässt Du alles fallen, was Du zu besitzen glaubst.“ Der Mönch verneigte sich, dankte und machte sich auf den Weg.

An der Brücke bereiteten sich Mönch und Samurai auf den Kampf vor. Der Mönch tat wie ihm geheißen, um würdig zu sterben. Der Samurai war überrascht. Vor ihm stand ein Mann, der sofort eine Angriffsstellung einnahm und dabei die Augen schloss. Er zeigte keinerlei Angst. Der Samurai wähnte einen großen Krieger vor sich, der ihn bei der geringsten Angriffsbemühung töten würde. So warf er sich vor dem mit geschlossenen Augen und erhobenem Schwert vor ihm stehenden Mönch zu Boden und bat um Gnade.

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Die Moral aus der Geschichte

Was lässt sich aus dieser Geschichte für Verhandlungen lernen? Nehmen Sie eine Haltung ein, die Ihrem Gegner/Partner zeigt, dass Sie nicht verletzbar sind. Sie haben keine Angst (Angst kann man riechen, manchmal auch sehen: feuchte Hände, Fingernägel kauen). Sie stehen nicht vor dem Untergang. Für Sie geht es immer weiter. Lassen Sie alle Prioritäten fallen, hängen Sie an nichts! Und dies nicht nur zum Schein. Nehmen Sie das Worst-Case-Szenario als das mit hoher Wahrscheinlichkeit Eintretende an. Sie werden souverän und gelassen wirken und sein. Es kann nur besser werden.

Stellen Sie Hypothesen auf

Bevor Sie in die Verhandlung gehen, bereiten Sie sich gründlich vor! Dazu sollten Sie sich mehr Zeit nehmen, als die Verhandlung voraussichtlich beanspruchen wird. Ein Element Ihrer Vorbereitung ist die Bildung von Hypothesen. Sie treffen also Annahmen

  • zu den Personen,
  • zum Verhandlungsgegenstand,
  • zum Prozess und
  • zu sich selbst.

Es ist wichtig für Sie anzunehmen, dass die Situation eventuell auch nicht so ist, wie Sie es für wahrscheinlich halten (es sei denn, Sie sind mit dem Verhandlungsgegner seit Längerem vertraut). Denn was Sie für wahrscheinlich halten, ist das Ergebnis Ihrer ganz individuellen Erfahrungen, Ihrer Werte und Perspektiven, die Sie im Laufe Ihrer Tätigkeit gesammelt haben. Diese sind die Basis IHRER Situationserklärung. Zum Beispiel würde ein Kollege wahrscheinlich andere Hypothesen zu anstehenden Verhandlungen aufstellen als Sie. Und schon hätten Sie in allen Dimensionen einander widersprechende Annahmen – bitten Sie also einen Kollegen um Hilfe, der über andere Erfahrungen verfügt als Sie.

Ein weiterer Weg bestünde darin, Ihre Verhandlungsstrategie genau an der Hypothese auszurichten, die im Gegensatz zu Ihrer festen Gewissheit steht. Diese Worst-Case-Szenarien werden Sie natürlich für Unsinn halten, zum Beispiel: „Der will mich über den Tisch ziehen, weil ihm das Wasser bis zum Hals steht und er Erfolge vor den Mitarbeitern vorweisen muss“ (Betriebsrat), oder: „Er möchte kooperativ verhandeln und langfristig eine Zusammenarbeit herstellen, in der die Interessen beider Seiten zur Geltung kommen.“ Damit weiten Sie Ihre Fähigkeit, aufmerksam dem anderen zuzuhören. Es könnte ja eben auch ganz anders sein als Sie annehmen.

Öffnen Sie sich den gegnerischen Positionen

Legen Sie sich eine „Ich weiß, dass ich nicht weiß“-Haltung zu. Diese Haltung impliziert nicht, dass Sie tatsächlich keine Ahnung von der Sache haben. Denn einen rationalen Sinn bekommt dieser Satz erst, wenn man bedenkt, dass ihn nur ein Wissender äußern kann. Nur dieser weiß, was er nicht weiß. Er kann es artikulieren. Jemand, der „keine Ahnung“ hat, kann auch nicht benennen, was er nicht weiß. Je mehr Sie also wissen, umso mehr wissen Sie auch, was Sie alles nicht wissen und umso mehr Fragen werden Sie haben. Mit dieser Haltung können Sie neugierig und offener für die Positionen Ihres Gegenübers sein. Verhandlungspartner voller Gewissheiten bleiben starr und haben Schwierigkeiten, zu Ergebnissen zu kommen.

Um den Sinn von Hypothesenbildung zu erläutern, gebrauche ich auch gern den biblischen Spruch: „Du sollst Dir kein Bild machen.“ Hypothesen haben auch die Aufgabe, Bilder zu „zerstören“. Es geht darum, sich für den Verhandlungspartner zu öffnen und ein möglichst weites Feld der Möglichkeiten im Kopf zu haben. Eine besondere Qualität gewinnt dieser Aspekt für Verhandlungsführer, die in einer Vermittlungsfunktion sind.

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