Familie heute
Das Zusammenleben in Strukturen, die sich Familie nennen, hat sich im ver- gangenen Jahrhundert erheblich verändert. Die nach wie vor häufigste Form, die „Normal-Familie“ mit Mutter, Vater und Kindern ist eine unter zahlreichen anderen familiaren Lebensformen. Bezogen auf die Elternschaft hat sich die biologisch-soziale Doppelnatur der Familie (René König) in multiple Elternschaften aufgehoben: Es bestehen Fortsetzungsfamilien, Patchwork-Familien, Adoptiveltern, Pflegeeltern, heterogene Inseminationsfamilien. Parallel hat sich auch ein Wandel der „Ehe“ vollzogen: Nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, gleichgeschlechtliche Partnerschaften, Living-apart-together-Beziehungen, Monogamie auf Raten sind als neue Beziehungsformen hinzugekommen und zunehmend gesellschaftlich anerkannt. Die Institution Ehe unterliegt also Dein- stitutionalisierungsprozessen, das erhöht ihre Instabilität. In nicht unbedenklichem Ausmaß verlieren sich die sie stützenden Traditionen. Die Individualisierungsprozesse des modernen Abendlandes machen auch vor der Familie nicht halt:
Die Wahlmöglichkeiten zwischen gemeinschaftlichen Formen des Zu- sammenlebens werden größer. Verbindlichkeiten sind weniger juristisch vorgegeben: Denken wir nur daran, dass eine Frau in der Bundesrepublik bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein Konto nur mit Zustimmung ihres Ehemannes eröffnen konnte, gleiches galt für das Unterschreiben eines Arbeitsvertrages. Auf der psychosozialen Ebene werden Rollen und Aufgaben in der Partnerschaft zunehmend verhandelt und unterliegen weniger der Tradition. Darin liegt Chance und Risiko zugleich. Die Partner bedürfen zunehmend einer ausgebauten Fähigkeit zur nichteskalierenden Verhandlungsfähigkeit.
Konfliktberatung als Mediation
Neben der etablierten Trennungs- und Scheidungsmediation ist Mediation für Paare, bei Eltern-Jugendlichen-Beziehungen, für Stief-, Pflege-, Adoptionsfamilien, in Erbauseinandersetzungen, in der Regelung der Unternehmensnachfolge in Familienbetrieben oder bei der Pflege / Betreuung älterer Familienangehöriger entwickelt worden. Mediation steht hier für eine rasche Regelung der Konflikte, die eine bis fünf Sitzungen nicht überschreiten sollte. Nicht die Beziehungsklärung steht im Vordergrund, sondern eine Neugestaltung der gegenwärtigen Lebenssituation, eine Klärung von Alltagsfragen in der Beziehung, das Verhandeln unterschiedlicher Ziele der beteiligten Familienmitglieder.
Diese unterschiedlichen Familienkonflikte sind zum einen durch äußere Faktoren (finanzielle Mittel, Informationen, Recht), aber auch durch subjektive, intrapersonale und interpersonale Bedingungen geprägt. Was als Konflikt und dessen Lösung von den beteiligten Familienmitgliedern wahrgenommen wird, wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst, wie z. B. die subjektive Wahrnehmung, unterschiedliche Wertauffassungen, die Geschichte des Konflikts. Die auftretenden innerfamilialen Interessengegensätze werden im eskalierten Konflikt überwiegend als unerwünscht bewertet und mit hoher emotionaler Beteiligung wie z. B. Ärger, Wut, Angst, Schuld verbunden. (Bastine 2006, S.133) In der Konfliktdynamik werden leicht Sach- und Beziehungsprobleme vermischt – beim Umgangswechsel der Kinder etwa zeitliche Fragen mit Vertrauensfragen oder es werden interpersonale mit intrapersonalen Konfliktthemen verwechselt (die aktuellen zwischenmenschlichen Konflikte lösen gleichwohl persönliche eigene Konfliktthemen aus, so. z. B. bei Trennung und Scheidung die eigene Ablösung von den Eltern). (Bastine 2006, S.133)
Rollen und Aufgaben in der Partnerschaft unterliegen weniger der Tradition, sondern werden zunehmend verhandelt. Dafür bedarf es der Fähigkeit zur nichteskalierenden Verhandlungsfähigkeit.
Der Mediator
Vor dem Hintergrund dieser Familienkonflikte bemüht sich der Mediator, als neutraler Dritter zwischen den Parteien zu vermitteln, indem er die Verantwortung für die Gestaltung des Gesprächsprozesses übernimmt, ohne die Macht zu haben, den Familienkonflikt autoritär zu entscheiden. In dem Gesprächsprozess der Mediation wird eine selbstbestimmte und einvernehmliche Regelung der Konflikte durch die Familienmitglieder selbst gesucht. Der Mediator fördert die Eigenverantwortlichkeit jeder Seite und deren wechselseitige Beziehung zueinander im Sinne eines Verstehensprozesses, um sachgerechte individuelle und nachhaltige Lösungen zu generieren. (Zum Mediationsprozess vgl. Barth (2012))
Ausweitung der mediativen Aufgabe
In der zurückliegenden Praxis der Familien-Mediation hat sich inzwischen eine Vielfalt an Variationen des ursprünglich stark strukturierten aufgabenorientier- ten Modells der Mediation entwickelt, die den spezifischen Merkmalen der Kunden und ihrer Konflikte Rechnung tragen soll. Zum Mediationsprozess gehören dann unter anderem auch unterstützende und therapeutische Interventionen, Trennungsbegleitung, Coaching oder anwaltliche Begleitung. Dies dient u. a. der langfristigen Anpassung der Familienmitglieder an die zukünftigen Herausforderungen von Partnerschaft und Erziehung und der Verbesserung der Angemessenheit und Haltbarkeit der zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen.
Damit einhergehend ist das Ziel der Familien-Mediation nicht mehr ausschließlich eine außergerichtliche Regelung von juristisch relevanten Kontroversen (wie in der Scheidungs-Mediation), sondern auch eine informelle Bearbeitung und Lösung von allgemein innerfamiliären Differenzen.
Gesetz zur Freiwilligen Familiengerichtsbarkeit
Mit dem Inkrafttreten des neuen FamFG kamen auf die Familien-Mediation neue Herausforderungen zu. Das Gericht kann bei Sorge- und Umgangsrechtskonflikten anordnen, dass Eheleute an einem kostenlosen Informationsgespräch über Mediation bei einer vom Gericht genannten Person / Stelle teilnehmen. Zudem kann das Gericht in geeigneten Fällen auf die Mediation als mögliche Alternative zur Beratung hinweisen. Die Eltern sollen in Sorge- und Umgangssachen Einvernehmen herstellen.
Kommt es zu einem Informationsgespräch über Mediation, ist häufig der erste Schritt in Richtung Mediation bereits getan. Erleben die Eheleute, wie der Mediator in der ersten Mediationssitzung vorgeht, haben sie eine hinreichende Grundlage, um eine Entscheidung über ihre weitere Teilnahme an der Mediation treffen zu können. Stimmen sie einer Mediation nicht zu, bestätigt der Mediator auf Wunsch der Parteien ihr Erscheinen. Weitere Einzelheiten des Gesprächs unterliegen der Schweigepflicht und werden nicht weitergegeben.
Eine Reihe von Eheleuten empfindet die Empfehlung des Gerichts oder Jugend- amtes zur Teilnahme an der Mediation subjektiv als unfreiwillig, als Zwang. Bisweilen ist ihnen die Teilnahme auch mehr oder weniger angeordnet worden. In diesen Fällen kann der Mediator nur Vermittler sein in dem Sinn, dass er den Parteien bei der Frage „Wie kann ich Ihnen helfen, dass das Gericht / das Jugend- amt Ihnen gegenüber Ruhe gibt, indem Sie eine eigenständige Regelung zu Ihren Kindern erarbeiten?“ hilft. Daraus ergibt sich noch ein weiteres Problem: die Frage der Vertraulichkeit gegenüber den oben genannten Institutionen. Der Mediator muss für seine Person zusichern, dass er von sich aus keine Informationen aus dem Mediationsgespräch weitergibt. An die „überweisende“, „anordnende“ Stelle gibt es lediglich den Hinweis, ob eine Mediation stattgefunden hat.
Wird eine Mediation durchgeführt, steht sie in Sorge- und Umgangsrechtsstreitig- keiten unter dem Beschleunigungsgebot. Der Gesetzgeber wollte dadurch sicher- stellen, dass zumindest die Situation der Kinder frühzeitig geklärt wird. Dieses Gebot kann jedoch nicht bei der Familien-Mediation von hochstrittigen Eltern umgesetzt werden. Vielmehr muss der Mediator den Gesprächsprozess entschleunigen und mit den Parteien kurzfristige, überschaubare Elternvereinba- rungen erarbeiten. (Krabbe/Thomsen 2008, S.111 f.)
Schließlich ist auch die Frage der Einbeziehung von Kindern in die Mediation noch nicht hinreichend beant- wortet worden. Diese sind von der Trennung / Scheidung ihrer Eltern unmittelbar betroffen. Sie sollten daher ebenfalls eine aktive Rolle spielen können, um die Krisensituation bewältigen zu können. Der Einbezug von Kindern und Jugendlichen in die Mediation sollte daher zukünftig stärker ausgebaut werden. (Diez/Krabbe/Thomsen 2009)
Aus dieser Übersicht lässt sich leicht erkennen, wie verhandlungsbedürftig das Konstrukt Familie in der modernen Gesellschaft ist. Auf der anderen Seite zeigt sich auch, da sich Familien-Mediation als ein eigenständiges professionelles Angebot etabliert hat – bei einer Vielzahl von Familienkonflikten angefragt wird, dass der Wunsch nach einer Deeskalation von Konflikten bzw. Harmonisierung von sozialen Beziehungen ausgeprägter wird. Sie ist als eine Antwort auf die massiven Veränderungen der zurückliegenden Jahre in Ehe und Familie zu bewerten.
Literatur
Barth, Gernot: Was ist Mediation? In: Die Wirtschaftsmediation, Heft 2 / 2012, S.6–8.
Bastine, Reiner: Mediation. In: Steinebach, Chris- toph (Hrsg.): Handbuch Psychologische Beratung. Stuttgart 2006, S. 526–536.
Diez, Hannelore / Krabbe, Heiner / Thomsen, Cornelia: Familienmediation und Kinder. Grundlagen, Methodik, Techniken. 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Köln: Bundesanzeiger-Verlag 2009.
Krabbe, Heiner / Thomsen, Cornelia: Werkstattbericht Familienmediation. In: Zeitschrift für Konfliktmanagement, Heft 4 / 2008, S.111–115.