Ein gut untersuchtes Phänomen der angewandten Sozialpsychologie ist der Anker-Effekt: Versuchspersonen erhalten eine augenscheinlich irrelevante numerische Information (z. B. auf die Frage: „Wie lauten die letzten vier Ziffern Ihrer Mobiltelefonnummer?“) und werden daraufhin gebeten, zu einem anderen Sachverhalt eine numerische Schätzung abzugeben (z. B. „Wann starb der Mongole Dschingis Khan?“). Interessanterweise liegen die Schätzungen überzufällig häufig in der Nähe der ersten Information. Dieser Effekt lässt sich auch auf Verhandlungssituationen übertragen: Einigungen liegen häufig in der Nähe des ersten Angebots – wer zuerst kommt, mahlt zuerst.
Wer über besonderes Verhandlungsgeschick verfügt, nutzt den sogenannten präzisen Anker (z. B. „Würden Sie sich unterschiedlich verhalten, wenn man Ihnen entweder 10 Euro oder 9,50 Euro für eine Schallplatte auf dem Flohmarkt bieten würde?“). Nun jedoch die Krux: Vermeiden Sie überpräzise Anker (Loschelder et al. 2016). Denn wer in Verhandlungen unrealistisch präzise Angebote macht, wird schnell als Amateur entlarvt und zieht den Kürzeren – der Teufel steckt eben im Detail!
Zum Autor: Wie in den vorausgegangenen Ausgaben der Mediation erhält die nächste Generation von Verhandlungsführern und Mediatoren die Möglichkeit, kreative Ideen, Entdeckungen und Hinweise in Kürze vorzustellen. In dieser Runde der Nachwuchsseite kreierten Teilnehmer des Master-Kurses „Verhandlung und Konfliktmanagement“ der Universität Münster durch leichte Adaptionen bekannter Sprichwörter oder Volksweisheiten mediative Merksätze, die sich auf aktuelle wissenschaftliche Befunde der Verhandlungsforschung stützen, um den Einsatz empirischen Wissens in der Praxis zu erleichtern. Hier ein Beitrag des Studenten Sven Kandalowski.
Loschelder, David D. et al (2016): The Too-Much-Precision-Effect: When and Why Precise Anchors Backfire with Experts. Psychological Science 27 (12), S. 1573-1587.