Erfolgsfaktor Konfliktkompetenz? – Holzauge, sei wachsam!

Kompetenzen sind doch wunderbar! Je mehr davon, desto besser. Sie scheinen einfach uneingeschränkt gut zu sein. Eine Medizin, die nicht gelöffelt, sondern gebaggert werden sollte, und zwar ganz ohne Nebenwirkung. Deswegen lieben wir nicht nur unsere Kompetenzen, sondern auch die Kompetenzen unserer Freunde und Verbündeten, unserer Firma und natürlich deren Mitarbeiter. Der Glanz der Kompetenzen leuchtet hell, oder gibt es einen Zweifel an ihrer Herrlichkeit, womöglich eine Schattenseite?

Meine letzte Seite hier eignet sich hervorragend für einen kleinen Schritt ins Unbehagen, analog zu einem Horrorfilm, der in der letzten Einstellung das kurze Aufblitzen des scheinbar besiegten Bösen zeigt. Anstatt nun beim Thema Konfliktkompetenz zum wiederholten Mal über die Wichtigkeit des Einfühlungsvermögens, der Bedeutung des frühzeitigen Erkennens einer Konfliktsituation, der Nützlichkeit von Selbst- und Fremdwahrnehmung und der Rolle der Selbstbehauptung zu referieren, wenden wir uns lieber den potenziellen dunklen Seiten der geliebten Kompetenz zu.

© fotolia.com // hakandogu

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Kompetenz gibt es nicht ohne Ressourcen

Der erste Schritt in Richtung Relativierung, der den Übertritt auf die Schattenseite der Kompetenzen markiert, mag der Hinweis sein, dass die eigene gefühlte Konfliktkompetenz immer auch mit dem Ausmaß der zur Verfügung stehenden Ressourcen zu tun hat. Es stellt sich bei jedem Konflikt die Frage, ob und wie weit wir uns einen Konflikt leisten können. Deutlich wird diese Diskrepanz bei unbeteiligten Dritten. Ihre Konfliktkompetenzen scheinen riesig zu sein, da diese Personen erst einmal nichts zu verlieren haben. Denn gibt es nichts zu verlieren, steigert sich die gefühlte Konfliktlösungskompetenz ins Unermessliche. Dies beschreibt sicherlich auch das Phänomen, warum bei Konflikten so viele Dritthelfer und Ratschlaggeber auftauchen, die sich gern als Problemlöser anbieten. Für sie gibt es nichts zu verlieren, ganz im Gegensatz zu den beteiligten Parteien.

Kompetenz wird zur Pflicht

Ein weiterer Schritt ins Dunkle ist die Erkenntnis, dass Kompetenzen zwar primär Fähigkeiten beschreiben, welche in der Folge auch zu Pflichten werden können. Wie heißt bei Ihnen in der Abteilung die Person, die sich besonders gut mit Computerproblemen aller Art auskennt? Die Kompetenz dieser Person hat sich im Laufe der Zeit sicherlich zu der Pflicht entwickelt, bei Computerproblemen den Kollegen zur Verfügung zu stehen. Hierbei wird eine weitere Eigenschaft von Kompetenzen deutlich, nämlich die selektive Wahrnehmung von Kernkompetenzen, also die Tendenz, jeder Person nur eine besondere Kompetenz zuzuschreiben. Diese Kernkompetenz ist dann meistens der einzige Beitrag, den die Person der Gruppe zur Verfügung stellt, wobei die anderen Fähigkeiten in der Folge seltener nachgefragt werden und zum Verlust von Ressourcen für die gesamte Gruppe führen.

Kompetenz als Innovationsantagonist?

Den dunkelsten Bereich stellt die Kompetenzfalle dar (Becker 2004; Levitt/March 1988). Die Kompetenzfalle beschreibt das Handeln einer Person oder Organisation, die mit einer suboptimalen Lösungsstrategie ein ausreichend gutes Ergebnis erzielt und demzufolge ihren Umgang mit den suboptimalen Prozessen immer weiter ausbaut und standardisiert, jedoch die Verbesserung der eigenen Strategie nicht weiter verfolgt. Es kommt zum Verlust der Innovationskraft. Ursprünglich wurde dieses Phänomen im Managementbereich entdeckt und angewandt, fand aber schnell auch Anwendung bei der Beschreibung von Personen. Ein zentrales Element hierbei beschreibt die Pfadabhängigkeit. Unsere Kompetenzen, die uns in der Vergangenheit zum Erfolg verholfen haben, geben den Pfad für unsere zukünftigen Handlungen und Strategien vor. In der Konfliktfalle benutzen wir Bekanntes mit voller Überzeugung und engen unseren Blick ein.

Folgendes Beispiel zur Illustration: Jemand löst einen Konflikt mit der Kernkompetenz „hohe Empathie“ und erfreut sich des Erfolges, der unweigerlich auf die kompetente Handlung zurückgeführt wird. Beim nächsten Konflikt erinnert sich diese Person an diese Kernkompetenz und wendet sie erneut an; schließlich heißt es doch „Never change a winning concept“. Was passiert aber, wenn der Konflikt zwar wieder gelöst wird, es in diesem Fall aber nicht so nachhaltig vonstattengegangen ist wie im ersten Fall. Die naheliegende Schlussfolgerung wäre: Es lag sicherlich an der komplizierteren Situation und den uneinsichtigen Streithähnen, aber sicherlich nicht an der eigenen, so erfolgreichen Konfliktlösungskompetenz.

Ein Begleitphänomen dieser Fokussierung auf die eigenen Kompetenzen kann sein, dass wir überheblich werden, und die logische Konsequenz sind systematische Regelverstöße gegenüber der Best Practice. In einer kürzlich veröffentlichten Studie aus dem Bereich der Onkologie (Heinzl 2013) konnte gezeigt werden, das Ärzte, die mit steigendem Dienstalter über vermeintlich höhere Kompetenz und Erfahrung verfügen, eher geneigt sind, Regelbrüche und Abweichungen von der Best Practice einzugehen, verglichen mit ihren jüngeren und vermeintlich weniger kompetenten Kollegen.

Gehen Sie auch mal abseits eingetretener Pfade

Analog zu einem gelungenen spätherbstlichen Spaziergang, bei dem man den Waldpfad verlässt, um die schönsten Lichtungen des Waldes zu entdecken, können Sie versuchen, Ihre eigenen Kompetenzpfade gelegentlich mal zu verlassen. Probieren Sie trotz und gerade aufgrund ihrer Kompetenzen in einem Bereich das eine oder andere Mal eine etwas andere Methode aus und variieren Sie ihre Lösungsstrategien. Eine zweite Medizin gegen die Kompetenzfalle stellt eine gezielte Dokumentation ihrer Erfolge dar: Dokumentieren Sie nicht so sehr die moderaten Erfolge, die zur Manifestierung potenzieller Kompetenzfallen führen können, sondern eher die ausgeprägten Erfolge wie auch die Misserfolge.

Nach so viel Licht und Schatten der Kompetenz nun ein klares Wort zum Schluss vom Kompetenzexperten Edmund Steuber, der fragte: „Kompetenz-Kompetenz? Wer hat die Kompetenz-Kompetenz?“

Literatur

Becker, Markus C. (2004): Organizational Routines: A Review of the Literature. In: Industrial and Corporate Change 13, S. 643–678.

Heinzl, Susanne (2013): Febrile Neutropenie unter Chemo: Prophylaxe-Leitlinien von erfahrenen Ärzten ignoriert. In: Medscape Onkologie. Abrufbar unter: http://www.medscapemedizin.de/artikel/4901141.

Levitt, Barbara/March, James G. (1988): Organizational Learning. In: Annual Review of Sociology 14, S. 319–340.

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